Brüssel – Die EU will sich im Poker um die Ratifizierung des Brexit-Abkommens in Großbritannien nicht erpressen lassen. Der EU-Gipfel machte Premierministerin Theresa May in der Nacht zum Freitag zwar eine Reihe von Zusicherungen, diese blieben aber rechtlich unverbindlich. EU-Vertreter berichteten von wachsendem Unverständnis über das Brexit-Chaos in Großbritannien. Die EU will sich deshalb nun verstärkt auf einen Austritt ohne Abkommen vorbereiten.
Die Nerven liegen blank nach der denkwürdigen Gipfelnacht von Brüssel. Endlich Klarheit über das weitere Vorgehen beim Brexit, das hatten sich die Teilnehmer des EU-Gipfels gewünscht. Ihr Wunsch hat sich nicht erfüllt. May hinterlässt im Kreis ihrer Kollegen Ratlosigkeit, Verärgerung, Ungeduld – und eine wachsende Bereitschaft zu kaum verhohlenen Lästereien.
Die Zeichen der Entfremdung zwischen May und ihren Kollegen aus den verbleibenden 27 EU-Staaten sind in Brüssel nicht zu übersehen. Glaubt man EU-Vertretern, hat sich May mit ihrem Auftritt keinen Gefallen getan. Sie verärgerte die Staats- und Regierungschefs mit unklaren Aussagen. So habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Ausführungen der Premierministerin mehrfach unterbrochen und Präzisierungen gefordert, berichtete ein EU-Diplomat. Luxemburgs Premier Xavier Bettel forderte May auf, zu klären, „was genau London will“.
Und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker charakterisierte die Gespräche hinterher als „nebulös und unpräzise“. Eine sichtlich verärgerte May stellte Juncker dafür zur Rede. Eine Fernsehkamera hielt die Szene im EU-Ratsgebäude fest, der britische Sender Channel 5 ließ sie von einem Experten für Lippenlesen untersuchen. „Wie haben Sie mich bezeichnet?“, herrschte May den Kommissionspräsidenten demnach an. „Sie haben mich als nebulös bezeichnet. Ja, das haben Sie gemacht.“
Dabei war May doch eigentlich mit einem klaren Ziel nach Brüssel gereist: zusätzliche Zusicherungen zu dem fertig ausgehandelten Brexit-Abkommen zu bekommen. Die EU-Kollegen vermissten aber klare Vorschläge. Aus Brüssel mit nach Hause nimmt die Premierministerin nun lediglich unverbindliche Zusicherungen zur sogenannten Auffanglösung für Nordirland, gegen die Kritiker daheim in Großbritannien Sturm laufen.