München – Ulrike Mascher hört als VdK-Landesvorsitzende seit Jahren Alltagsgeschichten, die ihr Sorgen bereiten. Von Senioren, die ihre Tage damit verbringen, Pfandflaschen aus Containern zu fischen, weil die Rente nicht zum Leben reicht. Von Pflegebedürftigen, die in Heimen leben und erst mittags aufstehen können, dafür aber um 17 Uhr wieder ins Bett gebracht werden – weil das Pflegepersonal heillos überlastet ist. Von Angehörigen, die seit Jahren keinen Urlaub mehr machen konnten, weil sie für ihren pflegebedürftigen Vater keinen Kurzzeitpflegeplatz bekommen. Oder von Rollstuhlfahrern, für die noch immer viele Orte in Bayern unerreichbar sind. „All diese Themen treiben die Menschen in Bayern mindestens genauso sehr um wie das Thema Flüchtlinge“, sagt Mascher. Aber es sind Themen, die im Wahlkampf viel zu kurz kommen, kritisiert sie.
Der Sozialverband fordert einen besseren Stellenwert für die Pflege und einen höheren Niedriglohn. „Pflegebedürftige und deren Familien rutschen sehr schnell ins soziale Abseits“, betont Mascher. „Pflege macht oft einsam und arm.“ 55 000 Pflegebedürftige mussten 2016 die „Hilfe zur Pflege“ beziehen, weil ihre Rente bei den hohen Heimkosten schnell aufgebraucht war. „Die Pflege ist am Limit – das ist das Ergebnis jahrelanger oder sogar jahrzehntelanger Versäumnisse in der Pflegepolitik“, kritisiert sie.
Von der gerade diskutierten allgemeinen Dienstpflicht hält Mascher wenig. „Junge Menschen dürfen nicht als Lückenbüßer ans Pflegebett verpflichtet werden.“ Sie forderte vielmehr Anreize für ein Freiwilliges Soziales Jahr, zum Beispiel eine verkürzte Ausbildungszeit in einem sozialen Beruf. Es müsste ihrer Meinung nach auch viel mehr Bemühungen geben, den Pflegeberuf zu einem attraktiveren Ausbildungsberuf zu machen. Der Pflegemindestlohn von 10,55 Euro sei „ein schlechter Witz“.
Unterstützt wird der VdK Bayern bei diesen Forderungen von der erst im Mai gewählten VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie fand in München sogar noch deutlichere Worte – besonders, wenn es um das Thema Barrierefreiheit geht: „Bevor Markus Söder auf Leitern klettert, um Kreuze aufzuhängen, sollte er erst mal einige Stufen in Bayern beseitigen.“ Bentele ist durch ihre Blindheit selbst betroffen, glaubt aber schon lange nicht mehr an das Versprechen der CSU, Bayern bis zum Jahr 2023 barrierefrei zu machen. Vergangenes Jahr seien erst 39 Prozent aller Bahnhöfe barrierefrei gewesen, betont sie. Auch die meisten Kinos, Restaurants, Supermärkte oder Arztpraxen seien für viele Menschen schwer oder gar nicht zu erreichen – nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen, Senioren mit Rollator oder Verletzte mit Krücken. Das Thema betreffe unheimlich viele Menschen in Bayern, betonte Bentele. Sie fordert eine gesetzliche Verpflichtung für die Umsetzung. „Es reicht nicht, auf Freiwilligkeit zu setzen.“
Zudem kritisierte sie, dass neue geförderte Wohnungen für Behinderte nach den Plänen des Kabinetts nur an spezielle Einrichtungen gekoppelt seien. „Das ist keine Inklusion“, sagt sie. Außerdem forderte die VdK-Präsidentin eine Anhebung des Mindestlohns auf 12,63 Euro. Damit könnte man in 45 Jahren Vollzeittätigkeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung erwirtschaften. Aktuell arbeitet jeder fünfte Beschäftigte in Bayern für Niedriglohn.
All diese Themen seien keine Nischenthemen und sollten von den Parteien nicht vergessen werden, betonte Mascher. „Sie beschäftigen die Menschen in Bayern enorm.“ Das beweise auch die rasant steigende Mitgliederzahl beim VdK. Am 1. August hat der Sozialverband nach eigenen Angaben die 680 000-Marke geknackt. 100 bis 200 Menschen treten dem Verband, der sich für all diese Themen starkmacht, täglich bei. Im 25. Juni waren es sogar 369 Menschen an nur einem einzigen Tag.