neue Regeln für Kirchenasyl

Zuflucht unter verschärften Bedingungen

von Redaktion

Von katrin Woitsch

München – Immer dann, wenn Syarta Kryeziu Blumen riecht, kommen die Erinnerungen. Und mit ihnen ein Gefühl von Geborgenheit. Der Blumenduft erinnert sie an die große Blumenwiese, auf der sie immer spielte, als sie vier Jahre alt war und mit ihren Eltern im Kirchenasyl lebte. Die Familie war damals vor dem Krieg aus dem Kosovo geflohen, doch ihr Asylantrag wurde abgelehnt. In den vergangenen 23 Jahren hat sich Syarta Kryeziu oft gefragt, ob sie noch am Leben wäre, wenn es damals nicht einen Pfarrer gegeben hätte, der sie mit Kirchenasyl vor der Abschiebung bewahrt hat. Sie weiß sicher, dass ihr Leben völlig anders verlaufen wäre. Dass sie heute nicht als Altenpflegerin in Ingolstadt arbeiten würde und Deutschland für sie nicht zur Heimat geworden wäre.

Syarta Kryeziu ist kein Ausnahmefall. „Fast alle Menschen, die in den vergangenen Jahren im Kirchenasyl waren, haben anschließend eine Bleibe-Erlaubnis bekommen“, berichtet Stephan Theo Reichel. Er war lange Zeit Kirchenasyl-Koordinator der evangelischen Landeskirche. Seit einem Jahr kümmert er sich für den ökumenischen Verein Matteo um dieses Thema. Die gestern in Kraft getretene, neue Verfahrensweise beim Kirchenasyl bezeichnet er als „groben Übergriff auf kirchenrechtliche Bereiche“.

Das Bamf verschärft die Verfahrensweise beim Kirchenasyl. Das betrifft vor allem die sogenannte Überstellungspflicht bei Dublin-Verfahren. Flüchtlinge, die vor ihrer Einreise nach Deutschland bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, müssen innerhalb von sechs Monaten dieses Land zurückgeführt werden. Andernfalls ist Deutschland für das Asylverfahren zuständig. Diese Frist soll nun auf 18 Monate verlängert werden, wenn eine Kirchengemeinde einen Kirchenasylfall nicht unmittelbar meldet und nicht sofort ein Dossier zustellt. Im Falle eines negativen Bescheids muss das Kirchenasyl innerhalb von drei Tagen beendet werden. Hintergrund ist, dass staatliche Stellen und Politiker den Kirchengemeinden in jüngster Zeit häufig vorgeworfen hatten, die Sechs-Monats-Frist auszureizen, um Rücküberstellungen zu verhindern.

Stephan Theo Reichel sagt dazu: „Der Skandal ist doch, dass überhaupt Kirchenasyl nötig ist.“ Dahinter stünden Härtefälle. Für viele der Menschen, die im Kirchenasyl aufgenommen werden, gehe es um Leben oder Tod oder um eine Beeinträchtigung der Menschenwürde, betont er. „Wir können nicht zulassen, dass Menschen in bulgarische Gefängisse zurückgeschickt werden, wo sie schwere Gewalt erfahren.“ Es wäre zwar möglich, Menschen 18 Monate im Kirchenasyl unterzubringen, sagt er. Beispielsweise in Klöstern. „Aber zumutbar ist es für den Menschen nicht.“

Das Verhältnis zwischen Kirchengemeinden und Bamf war nicht immer so angespannt wie heute. „2015 und 2016 haben wir sehr gut zusammengearbeitet“, berichtet Reichel. „Die Kirchen haben jeden Fall genau geprüft, das Bamf hat viele Härtefälle eingeräumt.“ Dann häuften sich die Asylzahlen – und die falschen negativen Bescheide aus dem Bamf. Immer mehr Flüchtlinge klagten, bekamen Recht. Im Bamf wurde die Zuständigkeit auf eine neue Abteilung übertragen. „2016 gab es diesen großen Bruch“, sagt Reichel. „Damals hätten die Kirchen als moralische Instanz schon energischer protestieren müssen. Es war klar, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Bamf und Kirchen weiter verschlechtern wird.“

Reichel ist überzeugt, dass es in Bayern durch die neue Regelung nicht deutlich weniger Kirchenasyl-Fälle geben wird. „Die Kirchengemeinden sind wütend“, berichtet er. „Viele sagen: Jetzt erst recht – wenn ein Fall begründet ist.“ Unbegründete Anfragen würden ohnehin abgelehnt, betont er.

Gegen die neue Regelung will der Verein klagen, er ist bereits mit Juristen im Gespräch und hat ein Gutachten erstellt. „Es kann nicht sein, dass das Bamf so oft falsch entscheidet, die Politik aber aus einer Wahlkampflaune in eine seit 200 Jahren respektierte Regelung eingreift.“ Reichel fordert, den Blick lieber darauf zu richten, wie die vielen Flüchtlinge integriert werden können. „Einen großen Beitrag dazu leisten die Kirchen.“ Auch in Syarta Kryezius Fall war es so. Sie ist Muslimin – besucht aber bei jeder Gelegenheit eine christliche Kirche und zündet dort eine Kerze an. Aus Dankbarkeit.

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