Wirtschaft bangt um Stromversorgung

von Redaktion

Kommt der Bau neuer Stromtrassen von Norddeutschland in den Süden weiterhin nur schleppend voran, drohen in Bayern höhere Strompreise. Der Wirtschaftsverband vbw befürchtet, dass Firmen dann Bayern verlassen.

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Die bayerische Wirtschaft ist enttäuscht: enttäuscht von Bürgerinitiativen, die den Bau neuer Stromleitungen blockieren. Enttäuscht von Politikern, denen es nicht gelingt, den Trassenbau gegen Widerstände durchzusetzen. Und enttäuscht von Landkreisen, die gegen die neuen Stromleitungen vor Gericht ziehen.

Die Enttäuschung bei den Unternehmen ist inzwischen so groß, dass Wolfram Hatz, seit Mai Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die Widerständler gestern ungewöhnlich scharf ermahnte: „Ein Wort zu all jenen, die sich in unserem Land gegen den Trassenbau stemmen: Wir können nicht gegen alles sein“, sagte er. Man könne nicht gegen Stromleitungen, gegen Kohle, gegen Wasserkraft, gegen Pumpspeicherwerke, gegen Windräder und gleichzeitig für den Klimaschutz sein. „Wer die Energiewende will, muss auch ertragen, dass sie stattfindet“, sagte er. Und man müsse ertragen, dass diese Veränderung sichtbar sei. Als direkte Kritik an Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), einem langjährigen Stromtrassen-Gegner, will die vbw das aber nicht verstanden wissen. Der Appell richte sich an die ganze Gesellschaft, sagte Hatz.

Hintergrund ist eine Studie des Schweizer Prognos-Instituts im Auftrag der vbw, die gestern in München vorgestellt wurde. Demnach wird die Stromversorgung in Bayern bereits im kommenden Jahr an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. „Ab 2021/22 wird es knapp“, sagte Studienautorin Almut Kirchner.

Größte Herausforderung: die Stilllegung der Atomkraftwerke. Block C im schwäbischen Grundremmingen darf noch bis Ende 2021 Strom produzieren, Isar 2 bei Landshut muss spätestens Ende 2022 vom Netz. Der Atomausstieg trifft Bayern besonders hart: Noch bis 2011 stammten laut der Studie 50 Prozent des Stroms im Freistaat aus Kernenergie. In Bayern ist insbesondere die Chemieindustrie auf gigantische Stromlieferungen angewiesen.

Nach Angaben der Bayerischen Chemieverbände verbraucht allein das Chemiedreieck im Osten Oberbayerns fast ein Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs. Größter Verbraucher ist demnach Wacker Chemie in Burghausen mit rund drei Terawattstunden im Jahr – was rund 0,6 Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs entspricht.

Die Atomkraftwerke noch länger am Netz zu halten, lehnt die vbw aber ab. „Das Thema ist durch“, sagte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Über 80 Prozent der Bevölkerung stünden hinter dem Atomausstieg, dass müsse man zur Kenntnis nehmen.

Vbw-Präsident Hatz sieht nur noch eine Möglichkeit: „Die großen Stromübertragungsleitungen zum Transport des Windstroms aus dem Norden zu uns in den Süden müssen so schnell wie möglich gebaut und fertiggestellt werden.“ Sollte das nicht passieren, könnte die EU-Kommission die einheitliche deutsche Strompreiszone aufteilen. „Das würde zu einem deutlichen Anstieg der Strompreise in Bayern führen – mit allen negativen Folgen für den Standort“, warnte Hatz. Insbesondere im Chemiedreieck befürchtet der vbw-Präsident, dass Unternehmen ab einer gewissen Höhe des Strompreises den Standort verlassen werden.

„Wenn die Energiewende gelingen soll, muss Deutschland die Strompreise senken – und zwar auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau“, forderte Hatz. Um gleichzeitig den CO2-Ausstoß in Deutschland zu reduzieren, empfiehlt Hatz marktwirtschaftliche Instrumente wie den europäischen Emissionshandel.

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