Siemens steckt tief im Klima-Dilemma

von Redaktion

Siemens steht am Klimapranger. Das droht, zum Dauerzustand zu werden. Diesen Herbst geht auch noch Siemens Energy an die Börse. Kohle gehört dort zum Kerngeschäft.

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – Siemens und vor allem der selbstbewusste Konzernchef Joe Kaeser sind es gewohnt, die Tagesordnung zu bestimmen. Zuletzt waren Unternehmen und Manager die Getriebenen. Sie sind ins Fadenkreuz von Klimaaktivisten geraten, weil sie für eine große Kohlemine im von Buschfeuern verwüsteten Australien die Signaltechnik für Züge liefern, die einmal geförderte Kohle zu einem Exporthafen transportieren soll.

Der Auftrag ist mit 18 Millionen Euro denkbar klein, aber die Wirkung des von Fridays for Future angeführten Protestes so groß, dass Kaeser das Thema zur Chefsache gemacht hat. In den Griff bekommen hat er es nicht. Siemens ist öffentlich als Klimasünder gebrandmarkt, was in der Konzernfamilie bei Siemens Healthineers sowie Siemens Energy für einige Verunsicherung sorgt.

Beim 2018 abgespaltenen Geschäft mit Medizintechnik sollen erste Proteste von Ärzten eingegangen sein. Man müsse nun überlegen, ob bei einem Klimasünder wie Siemens Medizintechnik zu kaufen noch opportun sei, lässt sich der Tenor zusammenfassen. Ob und wie sich das am Ende wirklich auf das Geschäft auswirkt, wissen die Siemensianer selbst noch nicht. Aber die Furcht davor ist spürbar.

Mitten im Fokus dessen steht Siemens Energy. Das Energiegeschäft von Siemens soll im September an die Börse gehen. Es ist mit 30 Milliarden Euro Jahresumsatz, 70 Milliarden Euro Auftragsbestand und 88 000 Beschäftigten weltweit die bisher größte Siemens-Abspaltung. Und 70 Prozent aller Energy-Geschäfte haben mit fossilen Energien zu tun. Mit Turbinen und anderer Technik sowie Service für Kohle- und Gaskraftwerke. Wenn Klimaaktivisten von Fridays for Future schon wegen Signaltechnik für einen Kohlezug öffentlich mobil machen, was passiert dann, falls Siemens Energy einen Milliardenauftrag für ein neues Kohlekraftwerk an Land ziehen sollte? Darf Siemens ohne Ächtung noch Turbinen in bestehenden Kohlekraftwerken warten oder mit seiner Stromübertragungstechnik ein Kohlekraftwerk ans Netz anschließen? Solche Fragen stellen sich Siemens-Manager derzeit auf allen Hierarchieebenen.

Mit einem Abflauen der Proteste rechnet kaum jemand – eher mit einer Verschärfung. Mit der diesjährigen Hauptversammlung am 5. Februar ist schon ein neuer Höhepunkt vorprogrammiert. Fridays for Future hat dort Protest angekündigt, vor und falls möglich auch in der Versammlungshalle. Der Dachverband kritische Aktionäre hat bereits in den Chor der Kritiker eingestimmt. Andere Aktionärsgruppen könnten folgen. Es braut sich einiges zusammen. Erfahrene Industriemanager vergleichen die Lage bereits mit der Diskussion um Atomenergie. Auch hier war Siemens einmal ein wesentlicher Technologielieferant. Bis politischer und gesellschaftlicher Druck dann zum Ausstieg und Ende der Siemens-Atomfabrik in Hanau gesorgt haben.

Heute wird Kohle als Klimakiller Nummer eins geächtet. Der Bund hat soeben beschlossen, aus der Kohleverstromung auszusteigen. Große Assekuranzkonzerne wiedie Allianz erklären reihenweise, als Großanleger nicht mehr in Kohle zu investieren und Kohleindustrien auch nicht mehr zu versichern. Wie lang kann ein im Fokus der Öffentlichkeit stehender Konzern wie Siemens da noch Kohle-Geschäfte machen, ohne sein Image zu ruinieren und andere Geschäfte zu gefährden?

Speziell bei Siemens Energy fragt sich das jener Großteil der 88 000 Beschäftigten, deren Jobs an fossilen Energien hängen. Argumente, die den Verkauf von Turbinen für neue Kohlekraftwerke rechtfertigen würden, gäbe es schon. Moderne Siemens-Technik vermindere dort im Vergleich zum Schnitt bestehender Anlagen den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) um fast ein Drittel, sagt Siemens. So gesehen würden sie Druck vom Klimawandel nehmen. Große Länder wie Indien und China könnten wegen steigendem Energiehunger nicht von heute auf morgen auf Kohlekraftwerke verzichten.

Aber lassen Klimaaktivisten solche Argumente gelten? Immerhin laufen Kohlekraftwerke oft jahrzehntelang. Jeder Neubau schreibt die Kohleverstromung entsprechend fort.

Greifbarste Idee von Siemens, diesem Grundsatzproblem zu begegnen, ist die geplante Einrichtung eines Nachhaltigkeitsrats bei Siemens Energy.

Ein solches Gremium gibt es bereits im Mutterkonzern. Ihm steht Siemens-Vize Roland Busch vor. Es ist auch sonst exklusiv mit Siemensianern besetzt. Der Rat bei Siemens Energy soll externe Experten aufnehmen und ein Mitspracherecht bei Aufträgen erhalten, die unter Klimagesichtspunkten kritisch sein könnten. Lässt sich damit die Kritik an Siemens einfangen und beherrschbar machen? Oder verschärft ein solcher Rat, dem sich Fridays for Future bislang verweigert, durch öffentlich werdende Dauerkritik die Lage sogar noch? So wie es aussieht, bleibt Siemens gar nichts anderes übrig, als dieses Experiment zu wagen.

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