Tom Enders: Bittere Worte zum Abschied

von Redaktion

Tom Enders verlässt nach 15 Jahren das Airbus-Cockpit. Dem langjährigen Chef des europäischen Luftfahrtkonzerns ist in seiner Bilanz um das Unternehmen nicht bang. Düster klingen aber seine Vorhersagen für den Luftfahrt-Standort Bayern.

VON MARTIN PREM

München – Kaum einer hat mehr mit der Entwicklung des Airbus-Konzerns zu tun wie er: Thomas Enders war, als es losging, noch keine 40 Jahre alt. Und keiner konnte ahnen, dass er einmal an der Spitze stehen würde. Doch bei der Dasa, dem Verbund der deutschen Luftfahrtindustrie unter Daimler-Regie, war er strategischer Vordenker. Es ging darum, wie man die europäische Luft- und Raumfahrt-Industrie zusammenführen könnte. Den global führenden US-Konzernen waren die vielen nationalen Unternehmen damals hoffnungslos unterlegen.

Der erste Versuch 1998 misslang: ein geplanter, aber dann abgesagter Zusammenschluss der deutschen und britischen Marktführer der Branche. 2000 dagegen gelang die französisch-deutsch-spanische EADS. Die heißt heute Airbus Group. Es war Enders’ Werk als Chef, das zerklüftete und aus vielen unterschiedlichen Gemeinschaftsunternehmen zusammengewürfelte Konglomerat zu einem klar strukturierten Konzern zu schmieden.

„Ich hätte ihn gerne besenrein übergeben“, sagte Enders, der nach 29 Jahren DASA, EADS und Airbus und nach 15 Jahren in der obersten Führungsebene am 10. April das Unternehmen verlassen wird. Das gehe nicht, wenn alle Dinge „mitten im Strom“ sind. So begnügt er sich damit, dass das Unternehmen, das er abgibt, „heute robuster aufgestellt ist als vor einigen Jahren“.

Dass der Schäfersohn aus dem Westerwald, der heute am Tegernsee lebt, an die Spitze des Konzerns kommen sollte, war für ihn selbst nicht absehbar, sagte er gestern im Rückblick. Doch erstaunlicher war, wie viele Jahre er blieb. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mich so lange im Sattel halten könnte“, sagt er selbst. Denn Tom Enders unterscheidet sich in einem Punkt von den meisten Konzernlenkern: Er ist nicht nur ein messerscharfer Analytiker. Er hält auch mit den Ergebnissen seiner Analysen nicht hinter dem Berg. Damit verletzt man gelegentlich Eitelkeiten und macht sich kaum Freunde.

Vor allem der staatliche Einfluss in Unternehmen, den er für schädlich hält, war Enders ein Dorn im Auge. Wer nun glaubt, dass er rückblickend besonders die französische Seite mit ihrer traditionellen Verbrüderung von Staat und Unternehmen kritisiert, irrt. „Es gab wenige Beispiele, wo die französische Politik ungebührlich intervenieren wollte“, sagt er. Oder: „Unterstützung kam am ehesten aus Paris.“

Dagegen hat die Bundesregierung einen der größten strategischen Schachzüge von Enders zunichte gemacht: den geplanten und eigentlich sicher geglaubten Zusammenschluss von Airbus mit dem britischen Rüstungsriesen BAE im Jahr 2012, der an Interventionen aus Berlin scheiterte. Von „Merkels Blutgrätsche“ sprach der 60-Jährige gestern. Und auf die Frage, ob er so etwas vergeben könne, erwiderte er schneidend scharf: „Vergeben ja, vergessen nie.“

Dabei hatte Merkels Blutgrätsche eine ungewollte Nebenwirkung – ein fundamentales Umdenken in Paris: Dass eine deutsche Regierung, die keine Aktien hielt, sich aber erfolgreich in strategische Unternehmensentscheidungen einmischte, hat dort Entsetzen ausgelöst. „Die Franzosen wollten jetzt lieber auf ihre Rechte verzichten, als den deutschen die gleichen Rechte zu geben.“ Das war für Enders eine Trumpfkarte. Er konnte nun eine Unternehmensverfassung durchsetzen, die den französischen und den deutschen Staat aus künftigen Airbus-Geschäften fernhielt.

Den industriepolitischen Ehrgeiz Deutschlands zu rein europäischen Fusionen sieht Enders skeptisch. Denn das internationale Stirnrunzeln über die Berliner Linie hält an. „Wir sind drauf und dran, die europäische Integration zu untergraben“, sagt er.

Vor allem die deutsche Haltung bei Rüstungsexporten hält er für brandgefährlich. Dass die Bundesrepublik nicht nur bei eigenen Produkten restriktiv ist, sondern ihre Exportbeschränkungen auch internationalen Partnern aufzwingt, kommt bei diesen schlecht an. „Ich bin ernsthaft besorgt, dass sich Deutschland isoliert“, sagt Enders. Er nennt als Beispiel einen bei Airbus in Marseille gebauten französischen Hubschrauber, der wegen eines aus Deutschland zugelieferten Schleifrings nicht ausgeliefert werden konnte.

Enders fürchtet deshalb auch, dass ein künftiges europäisches Jagdflugzeug ohne deutsche Beteiligung entwickelt und gebaut werden könnte. „Auch wir überlegen als Unternehmen, wie wir unsere Produkte german-free machen können“, sagt er. Nicht nur für den derzeitigen Eurofighter-Standort Manching bei Ingolstadt stellt sich damit wieder einmal die Überlebensfrage.

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