München – Direkt hinter Werkstor an der Münchner Dostlerstraße stand gestern ein i3, den Münchner BMW-Lehrlinge unter anderem mit Blaulicht für den Werkschutz ausgerüstet haben. Nichts an dem Auto hat sonst mit dem Münchner Werk zu tun. Motor und Elektronik aus Dingolfing, die Carbon-Karosserien aus Landshut und das ganze Auto aus Leipzig.
Doch jetzt startet das Stammwerk im Stadtteil Milbertshofen, wo die Bayerischen Motorenwerke 1922 inmitten grüner Wiesen und Äcker in den Fahrzeugbau eingestiegen sind, mit einem Investitionsprogramm über 200 Millionen Euro ins Elektrozeitalter. In drei Jahren rollen hier nicht nur Benzin- und Diesel-Fahrzeuge von einem Band. Dazu kommt 2019 der neue 330e, der als Plugin-Hybrid zu beiden Antriebs-Welten gehört, und 2021 ein vollelektrisches Auto: Der futuristische i4.
Diese Vielfalt ist produktionstechnisch in München besonders schwierig zu bewältigen. Das einzige Autowerk auf der ganzen Welt, das mitten in einer Millionenstadt liegt, ist eng. Die alten Hallen sind für eine moderne Produktion eigentlich zu niedrig und manche nicht so tragfähig, wie man sie sich wünscht. Produziert wird auf bis zu fünf Ebenen. Das allein ist schon eine Herausforderung. Denn derlei Probleme gibt es in einem neuen Werk auf der grünen Wiese nicht.
Die BMW-Anforderung an eine moderne Autoindustrie macht das allein schon schwierig zu einer „Herkulesaufgabe“, wie der neue Werkleiter Robert Engelhorn sagt. Jede Fabrik des Konzerns soll völlig unterschiedliche Autos in einer einzigen Fertigungslinie bauen können.
Nun teilt sich der künftige i4 zwar mit sämtlichen 3er Modellen eine Plattform. Doch nicht nur Motor und die Batterie trennen die unterschiedlichen Fahrzeuggattungen. Mehrere 1000 Teile pro Auto weichen voneinander ab. Eine gewaltige Menge an Warenströmen, wenn man bedenkt, dass ein Auto insgesamt aus weniger als 10 000 Teilen besteht.
Und doch kann im Karosseriebau und in der Montage, wo alle 57 Sekunden ein Auto vom Band rollt, beliebig zwischen den Modellen umgeschaltet werden. „Flexibilität ist unser höchstes Gut“, sagt Engelhorn.
Lediglich bei der Lackiererei werden mehrere Fahrzeuge mit gleicher Farbe zusammengefasst. Die Farbe von Auto zu Auto zu variieren wäre zu teuer, weil der Lack auch aus allen Zuleitungen ausgewechselt werden muss.
Und auch im Presswerk werden die einzelnen Karosserieteile auf Vorrat gepresst. Seitenteile, Motorhauben, Kofferraumdeckel und viele mehr. Denn obwohl die tonnenschweren Presswerkzeuge für unterschiedliche Blechteile in drei Minuten ausgetauscht werden können, geriete bei einem ständigen Werkzeugwechsel die Produktion aus dem Takt.
Auch die Elektromotoren für die Fahrzeuge aus München werden hier gebaut. Das ist konsequent. Denn München ist nicht nur Leitwerk für die 3er und 4er BMW-Modelle, zum Münchner Werk gehört eines von vier Motorenwerken des Konzerns. 447 345 Benzinmotoren wurden hier 2017 gefertigt, mehr als doppelt so viele wie die 196 454 Autos aus dem Werk.
Und noch eine Besonderheit aus den uralten Zeiten, in denen ein Autowerk noch fast alles selbst gemacht hat, hat sich in München gehalten: Die Sitze, die hier in die 3er- und 4er-Modelle eingebaut werden, werden alle vor Ort gebaut. In keinem anderen BMW-Werk ist das noch der Fall und in fast keinem Werk eines anderen Herstellers.
Doch daran hält BMW eisern fest. Denn nur wenn man selbst Sitze fertigen kann, die den höchsten Qualitätsansprüchen genügen, kann man dieses Niveau auch bei Lieferanten durchsetzen. Und nur, wenn man selbst weiß, was das wirklich kostet, ist man in der Lage, vernünftig über Preise zu verhandeln.
Für den i4 wird München exklusiver Fertigungsstandort. Wenn ab 2021 der Tesla-Herausforderer auf den Straßen der Welt zu sehen sein wird, ist heute schon eines festgezurrt: Jeder einzelne davon ist „Made in Munich“.