München – Der Wirtschaftsmotor scheint ins Stocken zu geraten und mit den Aktienkursen geht es vorwiegend bergab. Doch anders als viele andere Ökonomen ist Martin Lück, Kapitalmarktstratege bei Blackrock, zuversichtlich für das kommende Jahr. Auch mit Blick auf die USA.
Die Konjunktur zeigt erste Rückschläge, Wirtschaftsinstitute senken ihre Prognosen, die Börse ist nervös – steuern wir auf eine Rezession zu?
Ausgeschlossen ist natürlich nichts, aber wir halten das für sehr unwahrscheinlich. Das Wachstum in der Welt, speziell in Europa, dürfte etwas schwächer werden, aber immer noch über 1,5 Prozent liegen, was den mittleren Wachstumspfad bezeichnet. Die USA liegen mit rund 3 Prozent in diesem Jahr deutlich darüber, und im nächsten könnten es immer noch gut 2,5 Prozent werden. In China erwarten wir ein stabiles Wachstum von 6 Prozent. Das alles sieht nicht nach einer so dramatischen Abschwächung aus, dass man von einer Rezession sprechen könnte.
Aber die Unsicherheiten nehmen zu.
Ja, schon deshalb, weil das Wachstum 2019 nicht mehr so gleichmäßig verteilt sein wird, wie es noch 2017 war.
Zu den größten Unsicherheiten dieses und wahrscheinlich auch des nächsten Jahres zählt der Handelskonflikt zwischen China und den USA, aber auch zwischen Europa und den USA. Auf was müssen wir uns gefasst machen?
Das ist in der Tat ein großes Risiko, das Investoren und Unternehmen enorm verunsichert. Im Kern geht es darum, dass der US-Präsident sich gegenüber seinen Wählern als jemand darstellen will, der im Welthandel Deals aushandelt, um Amerika bessere Konditionen zu sichern. Diesen Erfolg braucht er. Dabei kommen auch Vereinbarungen zustande, wie man gerade beim Deal mit Mexiko und Kanada gesehen hat. Genauso könnte sich Trump eine Vereinbarung über Null-Zölle mit Europa vorstellen – gegebenenfalls gegen die Zusage, dass die Europäer mehr US-Waren kaufen. So einen Deal könnte er seinen Stammwähler im Mittleren Westen verkaufen.
Sie sind da sehr zuversichtlich.
Ja. Weil es ein politisches Problem ist, werden sich die ganzen Sorgen wegen eines Handelskrieges wahrscheinlich in Wohlgefallen auflösen. Am Ende könnte es sogar so ausgehen, dass weltweit die Zölle sinken und der Freihandel eher belebt als behindert wird. Das wären gute Nachrichten für die Weltwirtschaft. Bis dahin bleiben natürlich Risiken, weil Trump eben hoch pokert.
Trump brachte sich auch gegenüber der US-Notenbank in Stellung. Manche haben den Eindruck gewonnen, Fed-Chef Powell lässt sich von Trump beeinflussen. Wie sehen Sie das?
Die Unabhängigkeit der Zentralbank, gerade in Amerika, ist ein kostbares Gut. Das weiß natürlich auch Jerome Powell. Ein Notenbankchef darf nicht den Eindruck erwecken, vor der Politik einzuknicken.
Genau den Eindruck hat er aber bei vielen erweckt.
Es hat mich auch überrascht, dass der US-Präsident Druck auf die Notenbank ausübt und Powell seine Meinung ändert, was den nächsten Zinsschritt angeht. Da liegt der Verdacht der Einflussnahme nahe. Trotzdem glaube ich nicht, dass Trumps Intervention der Grund für Powells Umdenken war.
Was war der Grund?
Wir haben in den USA seit September wieder eine Kerninflationsrate von unter 2 Prozent, obwohl die US-Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenquote niedrig ist und die Löhne steigen. Die Fed will keinen Fehler machen und nicht zu stark auf die Bremse treten. Die Volkswirtschaft ist immer noch im Reparaturmodus nach der Finanzkrise. Man weiß noch nicht ganz genau, wo man steht. In diesem Umfeld kann man leicht einen verhängnisvollen Steuerungsfehler machen. Ich halte es übrigens auch für sinnvoll, erst einmal abzuwarten, wie die bisherigen geldpolitischen Maßnahmen wirken, bevor weitere ergriffen werden.
Ein negativer Eindruck bleibt.
Ja. Es ist störend, wenn ein Präsident Trump den Eindruck erweckt, er könnte der Zentralbank etwas vorschreiben. Das ist verheerend für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik.
Die andere große Notenbank, die EZB, hat andere Sorgen. Eigentlich wollte sie im kommenden Jahr Kurs auf die Zinswende nehmen. Könnte da jetzt Italien einen Strich durch die Rechnung machen?
Das glaube ich nicht. Die EZB wird sich durch die italienischen Risikozuschläge nicht von ihren Plänen abhalten lassen, das Anleihenkaufprogramm zu beenden. Ich glaube eher an das Gegenteil. Ein bisschen Druck von den italienischen Anleihen, beziehungsweise deren Risikoaufschlägen, auf die italienische Regierung kann nicht schaden, werden sich viele in der EZB denken. Ein höherer Spread dürfte Salvini, Di Maio und Co. schneller auf Linie bringen, so die Hoffnung.
Aber müsste die EZB nicht eingreifen, wenn die Risikoprämien auf Italienanleihen zu stark steigen?
Momentan gibt es da keinerlei Veranlassung. Die Spreads liegen durchaus noch im vertretbaren Rahmen. Es gibt keinen Grund für die EZB, ihre Ausstiegspläne zu ändern. Sollte es wirklich einmal knallen – also der Spread aufgrund einer kompletten Verweigerungshaltung der italienischen Regierung explodieren – dann gäbe es immer noch das Instrument der Outright Monetary Transactions (OMT). OMT gibt der EZB das Recht, dezidiert Anleihen eines einzelnen Landes zu kaufen. Dieses Programm wurde 2012 beschlossen, Draghis berühmtes „Whatever it takes“. Es wurde bisher nie angewendet, ist aber just für solche Fälle gedacht. Italien müsste sich dann aber einem Reform- und Sparprogramm unterwerfen, das mit der EZB und der EU-Kommission vereinbart würde.
Da kann man nur hoffen, dass es so weit nicht kommt.
Stimmt. Das wäre die Operation am offenen Herzen. Aber von einer solchen Situation sind wir ein gutes Stück entfernt. Es sieht eher so aus, als wäre Italien bereit, einen neuen Haushaltsentwurf vorzulegen. Wenn das geschieht und der Entwurf es der EU in irgendeiner Weise ermöglicht, auf ein Strafverfahren gegen Italien zu verzichten, dann wären, glaube ich, beide Seiten sehr froh.
Wird die EZB also Ende 2019 zum ersten Mal die Leitzinsen anheben?
Die Wirtschaft in Europa wird nach unserer Erwartung im nächsten Jahr noch recht gut laufen. Also gibt es keinen Grund, warum die EZB nicht den Schwenk Richtung Normalisierung der Geldpolitik machen sollte. Sie wird das vorsichtig tun, weil die Inflationsrate so niedrig liegt.
Für Sparer gibt es also noch länger keinen Grund zum Jubeln?
Nein. Bis wir wieder auskömmliche Zinsen sehen, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern.
Welche Schlüsse sollten Anleger aus der Gemengelage ziehen?
Wir empfehlen weiterhin, Aktien überzugewichten. Aber wir empfehlen ausdrücklich, auf mehr Qualität im Portfolio zu achten.
Was heißt das?
Das heißt, eher Aktien von Unternehmen zu kaufen, die an der Binnenwirtschaft orientiert und nicht-zyklisch sind und die weniger unter steigenden Zinsen leiden – also solche Unternehmen, die eine geringe Verschuldung und gesunde Bilanzen haben. Und es sollten Unternehmen sein, die aus ihrem laufenden Geschäft konstante, am besten natürlich steigende und solide finanzierte Dividenden bezahlen.
Interview: Corinna Maier