Rom – Giulia R. wohnt in Rom und hat einen Kredit für ihre neue Wohnung abzubezahlen. Deshalb überlegt sie jetzt, ein Konto in Deutschland zu eröffnen. „Ich mache mir Sorgen um die politische Situation. Diese politische Klasse ist verantwortungslos“, sagt die 45-Jährige. „Ich habe einen Kredit und ich habe Angst, dass ich den nicht mehr bezahlen kann, wenn Italien aus dem Euro austreten sollte.“ Dann lieber das Geld nach Deutschland schaffen. Da wisse man wenigstens, was Sache ist.
Giulia R. arbeitet mit einem Ministerium zusammen und will ihren Namen daher nicht publik machen. „Mein Gehalt würde sich dann in Lire verwandeln, aber meine Schulden bei der Bank nicht.“ Giulia R. hält dieses Euro-Exit-Szenario für realistisch – ungeachtet der Beteuerungen der italienischen Regierung aus europakritischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechtspopulistischer Lega, dass niemand den Euro-Austritt wolle.
Kein Wunder, dass die Menschen verunsichert sind. Seit Wochen spielt sich ein Drama um den italienischen Haushalt und die Verschuldung des Landes ab. Die Finanzmärkte werden immer nervöser. Vor allem die „Feinde im Brüsseler Bunker“, wie Vize-Premier und Lega-Chef Matteo Salvini die EU-Kommissionsspitzen gerne nennt, seien daran schuld, dass es in Italien nicht aufwärtsgehe.
Jetzt soll alles anders werden. „Die Armut wird abgeschafft“, verkündete Arbeitsminister, Fünf-Sterne-Chef und ebenfalls Vize-Premier Luigi Di Maio, als die Regierung ihre Haushaltsziele bekannt machte. Das Problem: Versprechen wie Steuersenkungen und Bürgereinkommen für alle kosten viel Geld. Geld, das Italien nicht hat. Denn die Schulden sind so hoch wie in kaum einem anderen Staat der Welt. Und das Geld soll vor allem durch neue Schulden reinkommen.
Schon jetzt macht der Schuldenberg fast 2,3 Billionen Euro aus, das sind mehr als 130 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. Erlaubt sind nach den Spielregeln der Währungsunion eigentlich nur 60 Prozent – ein Wert, den Italien seit dem Start des Euros vor fast 20 Jahren nicht einmal aus der Nähe gesehen hat. Da schrillen auch in Brüssel und an den Börsen die Alarmglocken. Bis Montag muss Rom seine Etatpläne an die EU-Kommission schicken. Diese prüft dann, ob alles im Einklang mit den EU-Regeln ist. Die letzten Wochen zeigen allerdings, dass nichts in Ordnung ist.
Schon morgens fällt der Radiohörer mit den neuesten Meldungen über den „Spread“ aus dem Bett – das ist so etwas wie der Fieberkurve der italienischen Finanzen. Je höher der „Spread“ ist, also der Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen, desto nervöser werden auch die Politiker. Denn das bedeutet höhere Zinsen auf neue Staatsschulden, was die Schuldenspirale noch schneller drehen lassen würde – ein Teufelskreis.
Italien stellt in der Euro-Zone so etwas wie eine Liste an Negativ-Rekorden auf. Die Finanzexpertin Veronica De Romanis präsentierte sie erst diese Woche in Rom. „Wachstum: Letzter. Beschäftigung: Letzter. Verschuldung: Erster“, steht in Stichpunkten in ihrer Power-Point-Präsentation. Die Fußnote: Nur Griechenland steht schlechter da als die drittgrößte Volkswirtschaft Europas.
Die Regierung verteidigt ihre Schuldenpläne mit dem Argument, nur so könne das Wachstum endlich angekurbelt werden. Die Rosskur mit schmerzhaften Reformen will sie nicht durchmachen. Denn das würde Wählerstimmen kosten. „Wir haben die Bürger hinter uns und das Establishment gegen uns“, erklärte Di Maio. Und damit hat er nicht unrecht. Die Regierung wird von Zustimmungswerten von rund 60 Prozent getragen.