München – Seit über einem Jahr ermitteln Fahnder der Staatsanwaltschaft München II in Sachen Diesel-Skandal gegen die VW-Tochter Audi. Nun hat die Justiz bei dessen Aufklärung zum bislang schärfsten Mittel gegriffen und den Audi-Chef Rupert Stadler in Untersuchungshaft nehmen lassen. Eine Ermittlungsrichterin habe wegen Verdunkelungsgefahr deren Vollzug angeordnet, sagte Staatsanwalt Stephan Necknig in München. Er begründete die Untersuchungshaft mit Hinweisen, Stadler habe entweder geplant, Beweismittel verschwinden zu lassen, beziehungsweise sich mit Zeugen oder anderen Beschuldigten absprechen wollen.
Über seinen Anwalt habe der 55-jährige Audi-Chef mitteilen lassen, dass er zu einer Aussage noch diese Woche bereit sei, aber bislang noch nicht geredet habe. Spätestens diesen Mittwoch soll Stadlers Vernehmung beginnen. Falls er dabei kooperiere und sachdienliche Hinweise zur Aufklärung in der Diesel-Affäre mache sowie eine Verdunkelungsgefahr entkräften kann, könne er wieder freigelassen werden, erklärte Staatsanwalt Necknig. Andernfalls könne die U-Haft über mehrere Monate hinweg aufrechterhalten werden.
So sitzt der ehemalige Porsche-Vorstand und frühere Chef der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz, wegen der Diesel-Affäre bereits seit vorigen September in München in U-Haft.
Stadler ist in seiner Ingolstädter Privatwohnung festgenommen worden. Sein Anwalt wollte vorerst keine Stellungnahme abgeben. Konzernmutter VW und Audi re-agierten auf die Verhaftung des Topmanagers mit einem Verweis auf die Unschuldsvermutung, wollten sich wegen der laufenden Ermittlungen aber nicht weiter äußern.
Oppositionspolitiker fanden klarere Worte. „Heute ist die Mär der Autoindustrie endgültig in sich zusammengefallen, beim Abgasskandal handle es sich nur um die Verfehlung einzelner Ingenieure“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Es werde immer klarer, dass das Tricksen und Betrügen in den Konzernen von ganz oben mindestens toleriert, wenn nicht sogar angeordnet worden sei.
Zumindest Letzteres werfen die Münchner Ermittler Stadler dem Vernehmen nach allerdings nicht zur Last. Gegen ihn und einen weiteren amtierenden Audi-Vorstand wird seit Ende Mai wegen Betrug und mittelbarer Falschbeurkundung ermittelt. Stadler soll nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft und entgegen seiner bisherigen Beteuerungen schon vor gut zwei Jahren von der Abgasmanipulation gewusst, aber den Verkauf von Audi-Dieselmodellen mit Betrugssoftware in Europa dennoch nicht unterbunden haben.
Dafür will die Justiz eine E-Mail als Beweismittel gefunden haben, nachdem interne Untersuchungen bei Audi nichts Belastendes gegen Stadler zutage gefördert hatten. Vorige Woche waren auch die Privatwohnungen von Stadler und seines Vorstandskollegen von Fahndern untersucht sowie Dokumente sichergestellt worden.
Audi ist im März 2017 in den Fokus der Ermittler gerückt, nachdem Fahnder zeitgleich zur Audi-Bilanzvorlage zu einer Razzia am Firmensitz in Ingolstadt angerückt waren. Im Februar dieses Jahres war es zu weiteren Durchsuchungen in der Audi-Zentrale und im Werk Neckarsulm gekommen. Vorige Woche wurden dann die Privatwohnungen von Stadler und eines Vorstandskollegen gefilzt. Stadlers Vorstandskollege sitzt aber nicht in Untersuchungshaft. Bei ihm bestehe im Gegensatz zum Audi-Vorstandschef keine Gefahr, dass er Beweise verschwinden oder sich mit Zeugen absprechen will, erklärte die Münchner Staatsanwaltschaft.
Stadler und dessen Kollege sind mittlerweile die einzigen beiden Mitglieder des siebenköpfigen Audi-Vorstands, die nicht voriges Jahr im Zug eines großen Managementumbaus im Nachgang der Dieselaffäre ausgewechselt wurden. Auch um Stadler hatte es schon öfter Spekulationen zu einer nahenden Ablösung gegeben. Die bei der Konzernmutter Volkswagen dominierenden Eignerfamilien Porsche und Piëch haben sich jedoch bis zuletzt hinter den gebürtigen Bayern gestellt und seinen Rauswurf verhindert. Stadler steht seit elf Jahren an der Spitze von Audi.
Für den neuen VW-Boss Herbert Diess ist er nun endgültig zur Belastung geworden. Diess will Volkswagen in eine neue und elektrifizierte Zukunft führen sowie die Altlasten des Diesel-Skandals hinter sich lassen. Die Verhaftung Stadlers macht ihm da einen Strich durch die Rechnung. Das brachte am Montag auch den VW-Aktienkurs unter Druck, die Aktie brach zeitweise um über drei Prozent ein. „Das hat jetzt noch einmal eine ganz neue Qualität, und vor allem ausländische Anleger werden davon wachgerüttelt, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist“, sagte ein Aktienhändler zur Verhaftung Stadlers. Den Skandal am Leben hält auch der Umstand, dass Audi die Überprüfung der eigenen Palette an Diesel-Motoren auf illegale Abschaltvorrichtungen immer noch nicht beendet hat. Das soll nun im nächsten Monat so weit sein. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte zuletzt zudem Rückrufe für mehrere Audi-Dieselmodelle verordnet. Weitere Rückrufe drohen dem Vernehmen nach. Die Ingolstädter VW-Tochter gilt als eine wesentliche technologische Keimzelle für den konzernweiten Abgasskandal. Audi hat Diesel-Motoren mit Schummelsoftware nicht nur für den eigenen Bedarf entwickelt. Die anrüchigen Aggregate wurden auch in VW- oder Porsche-Modellen verbaut. Audi allein soll in den USA und Europa rund 220 000 Dieselautos mit illegaler Abschaltvorrichtung in den Verkehr gebracht haben. Fast drei Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals, der mittlerweile auch auf den Stuttgarter Daimler-Konzern überzugreifen droht, habe es weder VW noch die Branche insgesamt geschafft, einen klaren Schnitt zu ziehen, kritisierte Grünen-Politiker Krischer. Die Festnahme Stadlers zeige, wie wenig der Skandal und seine Folgen von VW und den anderen Autobauern offensichtlich ernst genommen worden sei. „Es ist gut, dass nun wenigstens Staatsanwälte versuchen, den größten Industrieskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte strafrechtlich aufzuarbeiten, wo die Bundesregierung kläglich versagt hat“, betonte Krischer.
Allein die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt in Sachen Audi mittlerweile gegen 20 Personen. Dazu kommen weitere verdächtige Spitzenmanager aus dem VW-Konzern, die von Ermittlungen der Staatsanwaltschaften Braunschweig und Stuttgart betroffen sind.