Interview

Bürokratie behindert Aktienkultur

von Redaktion

Geldanlegen ist eine schwierige Sache geworden, seit es keine Zinsen mehr gibt. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Und die Auswahl der richtigen Aktien und Fonds dürfte sogar noch schwieriger werden. Denn die Zeiten, in denen der ausgeprägte Wirtschaftsaufschwung fast allen Branchen Auftrieb gab, neigen sich dem Ende zu, meinen Jürgen Wörl und Heiko Schlag von der Privatbank Julius Bär.

-Die Menschen, die in und um München leben, stehen im Ruf, eher viel Geld zu haben. Hat die Münchner Niederlassung deshalb eine besondere Bedeutung für Ihre Privatbank?

Heiko Schlag: Der Großraum München ist einer der potenzialträchtigsten Standorte für Privatbanking nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Es gibt hier einen sehr gesunden Mix aus mittelständischen Unternehmen und Weltkonzernen. Dazu kommt die enorme Attraktivität der Stadt, was die Mischung aus Kunst, Kultur und Natur betrifft. Daher ziehen viele Menschen hierher – auch sehr vermögende Menschen. Ich kenne einige, die sich nach ihrem Erwerbsleben den Umzug nach München gönnen möchten. München ist deshalb für uns als Privatbank einer der am stärksten wachsenden Standorte.

-Sie beraten normalerweise Reiche. Haben Sie auch einen Rat für einen Normalverdiener, der zum Beispiel 100 000 Euro aus einer Lebensversicherung bekommt?

Schlag: Die Deutschen sind leider weiterhin Sparweltmeister in Europa. Obwohl es längst keine Zinsen mehr gibt, ist die Sparquote in Deutschland nach einer aktuellen Studie auf über 17 Prozent des verfügbaren Einkommens angestiegen. Aufgrund der fehlenden Verzinsung für sichere Geldanlagen und der aktuellen Inflation ist das keine Vermögensvermehrung, sondern eine Vermögensvernichtung.

-Warum sparen die Deutschen so viel?

Schlag: Die Studie kommt zu dem interessanten Ergebnis, dass die Deutschen – eben weil sie so renditeschwach sparen – ihre Sparquote immer weiter erhöhen müssen und sich immer mehr vom Konsum abzwacken, um ihre Altersversorgung zu sichern.

-Warum haben die Deutschen so eine Aversion gegen Aktien?

Schlag: Da gibt es sicher eine ganze Reihe von Ursachen. Eine ist, dass die Menschen in Deutschland ein sehr ausgeprägtes Risikobewusstsein haben. Dazu kommt, dass es oft an grundlegendem Wissen über Anlagethemen fehlt.

-Da wäre das Bildungswesen gefragt.

Schlag: Ja. Ein entsprechendes Fach fehlt in der Schule. Nichtwissen bewirkt oft, dass Aktien gleichgesetzt werden mit Risiko. Dabei ist es salopp gesagt nur so, dass man für Aktien eine Börse hat, wo jeden Tag ein Preisschild an die Papiere gehängt wird, das für jeden sichtbar ist. Dieser Preis schwankt. Für viele ist das beunruhigend. Aber genau dieser Umstand liefert Transparenz, die es bei anderen Anlagen wie etwa Immobilien nicht gibt. Auch kann man mit marktschweren Aktien schnell Liquidität schaffen. Das geht mit einer Immobilie zum Beispiel nicht.

-Könnte denn der Staat noch etwas tun, um die Aktienkultur zu befördern? Steuerlich zum Beispiel?

Schlag: Ich bin kein Freund von staatlichen Anreiz- oder Drucksystemen. Der Staat würde uns schon helfen, wenn er uns die – auch aus Sicht der Kunden – überbordende Bürokratie ersparen würde. MiFID II, zum Beispiel. Das ist eine europäische Regulierungsrichtlinie, die seit Jahresbeginn gilt und die sich zum Ziel gesetzt hat, die Anleger zu schützen. Nur nach der Umsetzung ist ein Bürokratiemonster herausgekommen. Das ist fatal. Denn der normale Anleger wird dadurch von der Direktanlage in Aktien abgeschreckt oder abgehalten – wenn sich zum Beispiel seine Bank aufgrund des Regulierungsaufwands aus der Aktienberatung zurückzieht, was viele Banken und Sparkassen derzeit machen.

-Sie nicht. Was tun also mit den 100 000 Euro aus der Versicherung?

Jürgen Wörl: Bevor man die Frage beantworten kann, muss man erst einmal die Gesamtsituation des Anlegers betrachten. Hat er eine Immobilie? Eine Lebensversicherung? Wie ist der Anlagehorizont? Welche Verluste kann der Anleger tragen, welche Risiken ist er bereit einzugehen? Das ist das A und O. Tatsache bleibt aber: Im Euroraum sind die Zinsen seit Jahren auf einem Null-Niveau und daran wird sich so schnell nichts ändern. Deshalb haben viele unserer Kunden, die vor einigen Jahren nur ein Drittel ihres Geldes in Aktien hielten, mittlerweile im Schnitt 50 bis 60 Prozent an der Börse investiert.

-Was kommt noch ins Depot?

Wörl: Neben Direktinvestments mischen wir aktiv gemanagte Spezialitätenfonds. Bei Anlagen in Höhe von 100 000 Euro empfehlen sich vermögensverwaltende Fonds.

Schlag: Natürlich sollte man nicht die gesamten 100 000 Euro in Aktien stecken. Der alte Grundsatz, die Eier in viele verschiedene Körbe zu legen, gilt weiterhin. Denn die beste Rendite ist ein guter Schlaf. Aber natürlich, über Jahrzehnte betrachtet hat man mit Aktien – trotz aller Krisen – im Durchschnitt immer um die acht Prozent jährliche Rendite getätigt.

-Wie geht es denn am Aktienmarkt weiter?

Schlag: Momentan sehen wir, dass die wesentlichen Märkte, USA, Asien, Europa, gleichzeitig einen Aufschwung erleben. Insofern ist die wirtschaftliche Grundverfassung wirklich exzellent. Entsprechend gut lief es vergangenes Jahr in der Breite der Kapitalmärkte, in fast allen Ländern, Branchen und Sektoren. Die Flut hebt alle Boote, wie es so schön heißt. Doch jetzt kommen wir in die Spätphase dieses Booms. Jetzt wird es viel wichtiger, stärker zu differenzieren – auf einzelne Branchen, Sektoren oder einzelne Aktien. Die Hauptrenditen werden dann nicht mehr mit der Breite des Marktes gemacht, sondern mit einer gut fundierten Sektoren- und Einzeltitelauswahl.

Wörl: Deshalb haben es 2017 auch nur wenige aktive Manager geschafft, die Indizes zu schlagen. Die Märkte sind einfach in der Breite gestiegen. Man hätte die Geldanlage also gut mit ETFs abdecken können. Doch für 2018 wird dies nicht mehr die richtige Strategie sein. Die See wird rauer, wir müssen mit stärkeren Schwankungen rechnen. Und diesen Gleichlauf der verschiedenen Märkte wird es auch nicht mehr geben.

Interview: Corinna Maier

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