Interview

Bewerbungsgespräch mit einer Maschine

von Redaktion

Immer mehr Unternehmen setzen bei Bewerbungsverfahren Künstliche Intelligenz (KI) ein. Das heißt, wer einen Job in einem Konzern sucht und per E-Mail Kontakt aufnimmt, klärt mit wachsender Wahrscheinlichkeit die ersten Fragen mit einer Maschine, einem sogenannten Chatbot. Doch auch die Vorauswahl von Kandidaten durch Abgleich mit vorher festgelegten Profilen und selbst das Vorstellungsgespräch übernehmen zunehmend Algorithmen. Wir sprachen über Möglichkeiten und Grenzen der Technologie mit den Personalberatern Eva-Maria Schauer, Geschäftsführerin bei der El-net Placement GmbH, und Benjamin Scholz, Partner des Unternehmens. Die El-net-Gruppe ist ein Personaldienstleister, der Unternehmen sowie Fach- und Führungskräfte als Kunden hat.

-Sie setzen Künstliche Intelligenz (KI) bei der Personalgewinnung ein. Was genau wird da gemacht?

Benjamin Scholz: Es geht zum einen darum, proaktiv Menschen im Markt zu erfassen. Der Kampf um Fachkräfte ist heute ja ein ganz großes Thema. Da nutzt man die Digitalisierung, um möglichst die besten Leute auf dem Markt zu gewinnen.

-Wie funktioniert das konkret?

Scholz: Man bildet sogenannte Talent-Pools. Das bedeutet, man erfasst – zum Teil maschinell gesteuert – alle Personen, die für bestimmte Positionen in einem Unternehmen infrage kommen. Die Quelle dafür sind zum Beispiel Profile in beruflichen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn oder auch in branchenbezogenen Foren. Eine Maschine durchforstet also all diese Profile nach potenziell geeigneten Kandidaten.

-Die Kandidaten wissen also gar nicht, dass sie in einem Talent-Pool sind?

Eva-Maria Schauer: Genau. Sie werden erst aufgerufen, wenn die entsprechende Stellenbeschreibung eingegangen ist.

-Was kann Künstliche Intelligenz im Fall eine konkreten Bewerbung leisten?

Scholz: Künstliche Intelligenz ist heute in der Lage, konkrete Bewerbungsprozesse zu unterstützen. Das läuft so: Normalerweise ist bei einem Stellenangebot eine E-Mail-Adresse angegeben. Wer sich für den Posten interessiert, schreibt dort hin. Es ist heute bei größeren Unternehmen schon sehr wahrscheinlich, dass der Kommunikationspartner, der an dieser Stelle dahintersteht, kein Mensch ist, sondern ein Chatbot. Allgemeine Bewerberfragen werden durch eine Maschine beantwortet, Bewerberdaten werden automatisch sortiert und für die Personalentscheider aufbereitet. Eine Personalabteilung kann so ihren Ressourcenaufwand ganz erheblich reduzieren.

-Wie geht es dann weiter?

Scholz: Dann lädt der Bewerber seine Anschreiben und seinen Lebenslauf hoch. Da kommen wir schon zum Kern dessen, was KI und Algorithmen im Bewerbungsprozess heute machen. Die Maschine durchsucht die Daten, die der Bewerber eingereicht hat, nach Schlüsselbegriffen und auf Basis semantischer und ontologisch-struktureller Algorithmen, die man vorher festgelegt hat. Am Ende werden mir die Bewerbungen herausgesucht, die am besten auf das am Anfang definierte Profil passen.

-Führt die Maschine auch das Vorstellungs- gespräch?

Scholz: Das gibt es auch schon virtuell. Man meldet sich zu einem Bewerbungsprozess an und bekommt eine Einwahlnummer zugeschickt. Dann werden per Video Fragen gestellt. Eine Kamera nimmt den Kandidaten auf. Ein vollautomatisierter Prozess. Danach bewertet eine Künstliche Intelligenz zum Beispiel den inhaltlichen und physischen Ausdruck, analysiert die Mimik des Kandidaten und interpretiert seine Emotionen.

-Auf welcher Grundlage geschieht das? Da muss ja ein psychologisches Profil dahinterstehen.

Scholz: Sehr häufig werden etwa die entsprechenden Daten von den Mitarbeitern in einem Unternehmen erfasst, die man für die besten hält. Diese Top-Mitarbeiter legen fest, wie der Kandidat sein sollte. Daneben fließen auch wissenschaftliche Erkenntnisse über Gestik, Mimik und Ausdruck ein. Das alles gleicht die Künstliche Intelligenz ab und stellt fest, zu wie viel Prozent eine Übereinstimmung besteht.

-Es gibt aber noch andere Faktoren wie zum Beispiel die Persönlichkeit eines Menschen. Das kann doch eine Maschine nicht erfassen.

Scholz: Die Apologeten dieser Methode behaupten, dass man sehr wohl auch weiche Faktoren ermitteln kann. Menschen sind in der Beurteilung von anderen Menschen eigentlich sehr schlecht, weil eben sehr subjektiv.

Schauer: Es reicht manchmal schon, dass eine Bewerberin den Interviewer an eine ungeliebte Person erinnert, schon ist sie ausgemustert. Von solchen subjektiven Erinnerungen ist eine Maschine frei.

Scholz: Wir glauben aber, dass das Potenzial von KI differenziert betrachtet werden muss. Es geht ja auch um kulturelle Eigenschaften und soziale Fähigkeiten. Der Bewerber muss zu dem Unternehmen und den anderen, die dort arbeiten, passen. Ich bin skeptisch, ob die bisher existierenden Systeme das wirklich können und in welchem Ausmaß künftige Systeme das verlässlich können werden. Der Faktor Mensch ist bei der Beurteilung einer kulturellen Übereinstimmung schon ein sehr wichtiger.

-Bisher dürfte KI eher auf große Konzerne beschränkt sein. Gibt es Anzeichen, dass sich auch Mittelständler solchen Bewerbungsverfahren zuwenden?

Schauer: Ja, das geschieht nach und nach. Wenn man mehr Erfahrungen gesammelt hat, wird es eine Anwendungssoftware geben, und es wird billiger. Außerdem wächst ja auch in den Personalabteilungen eine neue Generation nach, die mit der Digitalisierung groß geworden ist.

-Gleiches gilt auch für die Bewerber. Die meisten werden kein großes Problem mit so einem Verfahren haben, oder?

Scholz: Der Wandel wird sogar von der neuen Generation von Bewerbern vorangetrieben. Die erwarten Schnelligkeit und Nähe von Informationen. Es geht ja auch um die Frage: Welche Erfahrung macht ein interessierter Bewerber mit einem Unternehmen? Und da ist die Digitalisierung – auch des Bewerbungsprozesses – ein wichtiges Kriterium.

-Erzählt ein Mensch einer Maschine mehr als einem anderen Menschen? Oder weniger, weil er weiß, dass alles aufgezeichnet und ausgewertet wird?

Schauer: Das kommt auf die Persönlichkeit des Kandidaten an. Jüngere Leute haben da oft ein ganz ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Sehen Sie sich nur an, was in Medien wie Snapchat oder Instagram alles gepostet wird. Diese Generation positioniert sich beim Thema Selbstdarstellung völlig anders als die vorangegangenen. Die Älteren tun sich damit natürlich deutlich schwerer.

-Wie kann sich ein Bewerber vorbereiten? Kann man die Maschine austricksen?

Schauer: Vielleicht nicht gerade austricksen, aber man kann üben. Wie man sich bewegt, wie man in die Kamera schaut, wie man generell agiert in einem solchen System. Das trainieren wir auch mit denjenigen, die wir beim Übergang von einem Unternehmen in ein anderes begleiten.

Scholz: Dazu kommt, dass die Kandidaten lernen, welche Präsenz man online zeigen muss, um von den Maschinen überhaupt gefunden zu werden.

-Erleben Sie es häufiger, dass ältere Kandidaten an solchen Verfahren scheitern?

Schauer: Wenn die Offenheit da ist, kann man ohne Weiteres auch Ältere fit machen. Es ist ja auch so, dass Ältere, die im Berufsleben stehen, inzwischen auch schon 20 oder 30 Jahre Computererfahrung haben. Selbst wenn jemand in seinem Arbeitsumfeld nicht mit dem Computer arbeitet, hat er doch meistens einen zuhause und entsprechend auch Erfahrung damit.

Scholz: Ich glaube auch, dass es vielleicht eine etwas höhere emotionale Zutrittsschwelle gibt. Wenn das dann aber geschafft ist, gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen jüngeren und älteren Bewerbern.

-Haben Sie eigentlich keine Angst, dass Ihnen KI eines Tage den Job wegnimmt?

Scholz: Nein. Und die Personaler in den Unternehmen brauchen auch keine Angst zu haben. Mittelfristig wird es so sein, dass wir alle durch KI von administrativen und sich wiederholenden Arbeiten entlastet werden. Dadurch entstehen Freiräume für inhaltliche, kreative und fachliche Arbeiten. Überspitzt gesagt, KI ist ein intelligenter Assistent.

Schauer: Das Profil unserer Arbeit wird sich ändern. Aber überflüssig werden wir nicht. Auch wenn die Digitalisierung voranschreitet: Am Ende steht immer ein Mensch. Ein objektiver Vorentscheidungsprozess hat viele Vorteile. Eine tolle Sache. Wenn danach aber der Bewerber und der Chef menschlich nicht miteinander können, hilft das alles nichts. Über Sympathie kann eine Maschine nicht entscheiden.

Interview: Corinna Maier

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