Ismaning – Deutschlands größter Versicherer Allianz rechnet damit, dass sich in wenigen Jahren der virtuelle Autoschlüssel per Smartphone in Neuwagen durchsetzen wird. „Wir glauben, dass das in drei, vier, fünf Jahren auf breiter Basis angeboten wird“, sagte Christoph Lauterwasser, Leiter des Allianz-Zentrums für Technik, gestern in Ismaning (Landkreis München). Virtueller Autoschlüssel bedeutet: Statt mit einem Transponder-Schlüssel oder einem vollelektronischen Keyless-Gerät entsperrt der Autofahrer sein Fahrzeug künftig mit seinem Smartphone und startet damit auch den Motor.
Für einen Kfz-Versicherer wie die Allianz wirft diese Technik eine ganze Reihe neuer Fragen auf. „Die Software wird zum zentralen Teil der Produktsicherheit oder des Produktrisikos“, sagte Lauterwasser. Schließlich muss der programmierte Schlüssel möglichst sicher gegen Hacker-Angriffe sein – denn Autodiebstähle und Versicherungsbetrug kosten den Versicherer viel Geld.
Komforteinbußen für Autofahrer sieht das neue System nicht vor – ganz im Gegenteil: Der virtuelle Schlüssel soll sich beispielsweise sicher auf das Smartphone anderer Familienmitglieder übertragen lassen, sofern diese ebenfalls berechtigt sein sollen, mit dem Auto zu fahren. Auch soll der Handy-Schlüssel beim Verkauf des Autos eine schnelle und sichere Schlüsselübergabe gewährleisten. „Für Autonutzer bedeutet das ein Plus an Bequemlichkeit“, sagte Jochen Haug, Vorstand der Allianz Versicherungs-AG. „Da braucht man kein Prophet zu sein, um zu prognostizieren, dass sich die Anzahl der so ausgestatteten Fahrzeuge schnell erhöhen wird.“
Die Versicherer sind nun gezwungen, sich mit der Technik auseinanderzusetzen. Bislang reicht es beispielsweise nach einem Autodiebstahl aus, den Fahrzeugbrief und den vollständigen Schlüsselsatz bei der Versicherung einzureichen – eine Art Schnellnachweis. „Auch beim virtuellen Schlüssel muss der Kunde künftig diesen Nachweis führen“, sagte Haug. „Nur, wie macht er das? Wie reicht er dem Versicherer einen virtuellen Schlüssel ein? Wie kann der Kunde nachweisen, dass das Fahrzeug wirklich gestohlen wurde?“, fragte Haug, ohne die Antwort zu liefern.
Stattdessen forderte er von der Autoindustrie verbindliche Sicherheitsstandards für den Handy-Schlüssel. Ein umfangreicher Anforderungskatalog der Allianz an die Hersteller sieht unter anderem vor, dass Handy-Schlüssel künftig nicht kopierbar sein dürfen. „Außerdem brauchen wir im Falle eines Totaldiebstahls einen transparenten Überblick, wer wann für welchen Schlüssel berechtigt war“, forderte Lauterwasser. Auch soll nur der Fahrzeughalter in der Lage sein, Fahrberechtigungen für weitere Handys zu erteilen – genauso soll er die Handy-Schlüssel auch wieder einkassieren können.
Geht es nach der Allianz, soll der Anforderungskatalog möglichst rasch zum verbindlichen Standard in der Autoindustrie werden, denn die Zeit drängt. Nach Darstellung von Lauterwasser tüfteln aktuell merere Hersteller am Handy-Schlüssel, Daimler bietet in einem Fahrzeug-Modell das System bereits an. „Die ganze Situation erinnert mich an die Herausforderung, vor der wir Anfang der 1990er-Jahre standen, als wir im Allianz-Zentrum für Technik die Anforderungen an die elektronische Wegfahrsperre erarbeitet haben“, sagte Haug. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte sich damals die Zahl der Autodiebstähle innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt, erst die neue Wegfahrsperre stoppte den Trend. So weit soll es beim Handy-Schlüssel gar nicht erst kommen. Der eingeleitete Dialog mit der Industrie soll das vermeiden. Sebastian Hölzle