Frauen trotzen sinkender Gründerquote

von Redaktion

Die Zahl der Gründer ist bundesweit, aber auch in der Region, rückläufig. Immer mehr Menschen scheuen das Risiko des Unternehmertums. Frauen sehen in der Gründung dennoch oft Vorteile, wie Nadine Saghafi aus Bad Aibling.

Rosenheim/Bad Aibling/Mühldorf – Inspirierende Gründergeschichten liest man oft. Auch in der Region zeigen motivierte Jungunternehmer etwa bei Gründerpreiswettbewerben Gesicht. Doch die Zahl derjenigen, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagen, schwindet. Das zeigen neue Zahlen der Industrie- und Handelskammer: Wie schon 2017 seien die Existenzgründungen beispielsweise in Mühldorf auch 2018 gesunken. Im vergangenen Jahr meldeten dort 880 Personen ein Gewerbe an.

Trend geht zur sicheren Anstellung

Davon gründeten 808 ein neues Unternehmen, 72-mal handelte es sich um eine Betriebsübernahme. Insgesamt ging die Zahl der Mühldorfer Gründer damit um 6,2 Prozent gegenüber 2017 zurück. Damals waren es noch 938 Gründer, 2016 immerhin 959. Auch in Stadt und Landkreis Rosenheim sind die Gründerzahlen rückläufig. 2018 starteten in der Region 2974 Menschen in die Selbstständigkeit, 126 weniger als im Jahr davor.

Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW-Förderbank, führt als einen Grund für das sinkende Interesse am Gründen die gestiegene Attraktivität der abhängigen Beschäftigung an. Die deutsche Wirtschaft sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen – eigentlich eine gute Voraussetzung für die Selbstständigkeit. Doch da gleichzeitig der Arbeitsmarkt boome und die Verdienstaussichten gut seien, zögen viele Menschen eben das sichere Angestelltenverhältnis dem Risiko des Unternehmertums vor.

Unter denjenigen, die es dennoch tun, holen die Frauen seit einiger Zeit auf, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aufzeigt: Die Zahl der Frauen, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagen, stieg in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland um rund 51 Prozent. Eine von ihnen ist Nadine Saghafi aus Bad Aibling. Seitdem sie beim Rosenheimer Gründerpreis mit ihrer Onlineplattform Baufortschritte.de den dritten Platz belegte, ist sie in der Region keine Unbekannte mehr.

Eben erst launchte sie ihre Website. „Schritt für Schritt“ habe sie auf diesen Meilenstein hingearbeitet, erzählt sie unserer Zeitung, um so das Risiko von Fehlinvestitionen und falschen Entscheidungen klein zu halten. Sie spricht damit einen Aspekt an, den auch die Experten des IAB bei Gründerinnen stark vertreten sehen: Frauen träten eine Selbstständigkeit meist mit weniger Startkapital an, finanzierten seltener mit fremdem Geld, gingen insgesamt weniger finanzielle Risiken ein. Den Müttern unter den Gründerinnen sei besonders wichtig, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können.

Abschied von der Fünf-Tage-Woche

Brigitte Zypries, ehemalige Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, bestätigt im „Female Founders Monitor 2019“ des Bundesverbands Deutsche Startups, dass Frauen die flexible Arbeitsorganisation als Selbstständige schätzten. Nadine Saghafi, die Bauherren mit ihrer Geschäftsidee ermöglicht, online den Fortschritt ihres Bauvorhabens zu verfolgen, ohne dabei selbst permanent auf der Baustelle anwesend sein zu müssen und ihr Objekt virtuell auf 360-Grad-Rundgängen zu erleben, kennt das Thema Vereinbarkeit nur zu gut: Die Mutter einer vierjährigen Tochter gibt zu, Muttersein und Gründen seien „ein permanenter Spagat.“ Bei ihr gebe es keine Fünf-Tage-Woche. „Ich nutze kinderfreie Zeiten wie den Vormittag, Abende und die Wochenenden, um produktiv zu sein.“

Ohne die Hilfe der Familie, sagt die 40-Jährige, wäre es um einiges schwerer, Kind und Gründung zu vereinbaren. Die Familie beschreibt sie auch als „wichtige Säule“ im emotionalen Auf und Ab, die eine Gründung ebenso bedeute: „Das ganze fühlt sich für mich wie eine Achterbahnfahrt an“, erzählt sie, „man muss Niederlagen einstecken und darf Erfolge feiern.“

Experten machen ein weiteres heißes Thema aus, das Angestellte weniger hart trifft als Selbstständige, für die häufig die gesetzliche Rentenversicherungspflicht wegfällt: die Altersvorsorge. So warnt René Klein vom Portal Für-Gründer.de Gründer und Selbstständige vor drohender Altersarmut und betont, wie wichtig es sei, sich rechtzeitig abzusichern.

Gründerin Saghafi geht mit dem Thema bewusst um: „Vor meiner Gründung war ich lange berufstätig, konnte mir ein Polster aufbauen und mich fürs Alter absichern.“ Jetzt geht es für sie erst richtig los. Konnte sie schon während der Anfangsphase Bauträger aus der Region für ihre Idee gewinnen, plant sie bis Ende des Jahres, ihr Team auszubauen und ihre Aktivitäten über die Region hinaus auszuweiten.

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