Rosenheim/Kiefersfelden/
Neuötting – Beim Wort „Friseuse“ stellen sich Helga Wimmer buchstäblich die Haare auf. „Das hört sich nicht nur furchtbar an, es verdeutlicht auch die geringe Wertschätzung, die viele Verbraucher heute unserem Beruf entgegenbringen.“ Ihr Berufsstand sagt die Friseurmeisterin aus Neuötting, leiste hochkreative, anspruchsvolle Arbeit – leider eine, die immer weniger junge Menschen machen wollten, und die unter Konkurrenz- und Preisdruck leide.
40 Prozent lassen „schwarz“ schneiden
2018 gab es laut Bundesamt für Statistik deutschlandweit rund 80600 Betriebe im Friseurhandwerk. Damit ist ihre Zahl wieder leicht zurückgegangen, nachdem rund zwei Jahrzehnte lang praktisch täglich ein Salon nach dem anderen neu eröffnete. 236309 ausgebildete Friseure arbeiten derzeit in ihrem Beruf, so die Bundesagentur für Arbeit.
Helga Wimmer führt in Neuötting seit 1981 ihren eigenen Salon, ist über 20 Jahre schon Obermeisterin der Friseurinnung Altötting-Mühldorf und dort seit 2012 Kreishandwerksmeisterin. Sie habe viele Höhen und Tiefen ihrer Branche miterlebt, erzählt sie. Jetzt stehe das Handwerk erneut vor großen Herausforderungen: Zwar sei es nicht mehr so schlimm wie kurz nach der Jahrtausendwende, als die großen Friseurketten auch in der Region Einzug hielten und die Preise drückten. Auch mache ihrem Handwerk zu schaffen, dass rund 40 Prozent der Verbraucher sich die Haare zu Hause machen lassen, häufig „schwarz“.
Besonders hart trifft die Branche der Nachwuchsmangel. 2017 seien nur 22 Azubis, 2018 24 Lehrlinge aus Altötting und Mühldorf im Friseurhandwerk freigesprochen worden, sagt Wimmer. Deutschlandweit gehört der Friseur zwar noch zu den Top-10-Ausbildungsberufen, rutschte aber auf Platz sieben. Jährlich sinkt die Zahl der Lehrlinge, von 2017 auf 2018 um fast fünf Prozent auf 20982. „Die Hälfte der Azubis wusste zum Ende der Lehrzeit nicht, ob sie weiter im Friseurhandwerk bleiben wollen“, beschreibt Wimmer ein Phänomen, das den Fachkräfteschwund befeuert. Der Grund: Schulabgänger starteten motiviert in die Ausbildung, verzweifelten dann oft an der Realität: Man stehe viel, müsse immer gut drauf sein, die Kunden unterhalten, laufend über Trends informiert sein. Dazu komme ein geringer Einstiegslohn. Eine angestellte Friseurin verdiene in den ersten Berufsjahren rund 1600 Euro brutto.
Noch immer ist der Friseurberuf eine Frauendomäne. Weibliche Azubis beherrschten mit einem Anteil von über 80 Prozent lange Jahre das Bild. Seit etwa fünf Jahren, so die Bundeszentrale für Berufliche Bildung, entdecken vermehrt junge Männer den Beruf. 2018 registrierte das Handwerk 2503 Neuverträge mit männlichen Lehrlingen, ein Anstieg von über 14 Prozent gegenüber 2017. Und: Immer mehr Männer geben Geld für Haarpflege aus und wollen sich dabei nicht nur auf die Angebote im Drogeriemarkt verlassen.
Friseurmeister Florian Otto aus Kiefersfelden schreibt dies einer besonderen Entwicklung zu: der Wiederentdeckung der Bartpflege im Salon. Schätzungsweise 1000 Barber-Shops gibt es in Deutschland, seit etwa 2014 nimmt ihre Zahl sprunghaft zu. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn dazu braucht es nicht zwingend eine Friseurausbildung, klärt Otto auf. Für ihn selbst war die Bartpflege um das Jahr 2014 nach einem Messebesuch die Chance, mehr aus dem väterlichen Friseursalon zu machen. „Definitiv hat uns das 50 Prozent mehr Kunden gebracht“, erzählt er heute.
Das klassische Friseurhandwerk betreiben Vater und Sohn mit sechs Angestellten dennoch weiter: „Freitags ist bei mir Damenschnitt angesagt, allein der Abwechslung wegen.“
Otto war damals in der Region der erste Friseur, der sich ans Zusatz-Standbein Bartpflege wagte. Sein Vater Rudolf Otto, der in den 1960ern beim Rosenheimer Dombader „Herrenfriseur“ lernte, fand die Neu-Findung des männlichen Kunden gut, nachdem sich Jahrzehnte die Branche überwiegend um Damenköpfe und Dauerwelle gedreht habe. Apropos Dauerwelle: Die männliche Klientel möchte bei der Bartpflege gern unter sich sein. „Man muss die Bereiche Barbier und Friseur räumlich voneinander trennen, und der Barbier braucht auch andere Stühle, auf denen die Kunden eher liegen“, rät Otto.
Wer sich Nischen erobert, um im Handwerk zu bestehen, kommt also um gewisse Investitionen nicht herum. Eine fünfstellige Summe habe er in die Umgestaltung des familiengeführten Salons gesteckt, als er ihn 2017 um ein Barber-Angebot erweiterte, erzählt Dominik Buchner. Der Geschäftsführer von Friseur Buchner aus Rosenheim erwarb dafür ein Zertifikat an der Deutschen Friseurakademie in Ulm und hat den Aufwand nicht bereut: Es kämen mehr Laufkunden, wesentlich mehr Männer.
Haarverlängerung, Bärte, Social Media
Um auch nach 15 Jahren mit einem Friseursalon und trotz guter Stammkundschaft für die Zukunft gerüstet zu sein, hat Buchners Schwester Sabrina zusätzlich Zeit und Geld in eine Weiterbildung zur Haarverlängerungs-Spezialistin investiert, trägt heute als einzige Friseurin in Rosenheim den Meistertitel des Marktführers Great Lengths.
Ein Grund sogar für Schauspieler, extra von München nach Rosenheim zu kommen. Ausruhen könne man sich darauf nicht – insgesamt acht Leute muss Buchner jeden Monat entlohnen. Wöchentlich verbringt er bis zu drei Stunden in sozialen Netzwerken, zeigt sich auf einer regionalen Tattoomesse mit seinem Barber-Shop –„nur das klassische Handwerk zu bieten wird in Zukunft nicht mehr reichen.“