Die Frau, die Falten liebt

von Redaktion

Welche Frau würde schon gern Falten zu ihrem Beruf machen? Heidrun Keim aus Kolbermoor hat in Falten sogar ihre Berufung gefunden – und ein Start- up gegründet, irgendwo zwischen Kunst, Design und Handwerk.

Kolbermoor – Fast andächtig streicht Heidrun Keim über die isometrisch exakten Faltungen des weißen Kunstwerks aus Papier, das sich bei näherer Betrachtung als erstaunlich stabil und fest erweist: „Das ist unser erster Foldart, das Original“, erzählt die Gründerin von Foldart, einem Kolbermoorer Startup, das sich genauso nennt wie die Objekte aus Papier, Aluminium oder Kupfer, die sie mit ihrem Team herstellt. Inspiriert haben sie dazu Leichtbauteile aus Spezialpapier-Faltkernen, wie sie in der Luftfahrt eingesetzt werden (mehr dazu im Infokasten). Mit ihrer 2016 geborenen Geschäftsidee bewegt sich die 49-Jährige im spannenden Feld zwischen Kunst, Design und Handwerk.

Ein Foldart ist ein 70 mal 70 Zentimeter großes, von Hand gefaltetes Designobjekt auf einer Acrylglasplatte, auf Kundenwunsch auch hinter Glas in Szene gesetzt. Jedes Objekt ist ein nummeriertes Unikat, seine Stückzahl auf 888 weltweit limitiert. Eine spezielle Software entwirft das Faltmuster („Mit Origami hat das nichts zu tun“), das aufs Trägermaterial aufgebracht und mit einem Dekor versehen wird. Im Anschluss erhält es seine 3D-Struktur. In Handarbeit, „so wie 90 Prozent unserer Arbeit handwerklich ist. Wir könnten uns auch als Manufaktur bezeichnen.“

Weil Heidrun Keim, wie sie selbst von sich sagt, eine Perfektionistin ist, bekommen die Foldart-Käufer – Privatkunden, Unternehmen, Gastronomie, Hotels, Kanzleien, ein großer Berliner Zeitschriftenverlag – ihr Objekt in einer in Deutschland gefertigten, eigens designten Schachtel geliefert, mit Handschuhen und einem Pinsel, damit sie ihr Foldart sauber halten können, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen. Edel sieht so ein Foldart in Kupfer oder silberglänzendem Aluminium aus. Oder ziemlich poppig in zwei Farben, die ihre Optik wechseln – je nach Blickwinkel. Auch in größerem Format fertigt das Startup solche Objekte, die sich dann Foldwall nennen.

„Gerade habe ich vom Fraunhofer Institut die wissenschaftliche Bestätigung bekommen, dass Foldwall akustisch wirksam ist und neben der Ästhetik zum Beispiel für Tagungsräume einen lärmdämmenden Zusatznutzen bringt“, schildert Heidrun Keim.

Die großflächigen Wandobjekte zu realisieren, hat die Unternehmerin einige schlaflose Nächte gekostet: „Wir hatten schon Anfragen für große Foldwalls, sogar für eine Fläche von 800 Quadratmetern. Aber unsere Werkstatt ist für diese Größe nicht ausgelegt.“

Keim kommt weder aus der Kunst noch aus dem Handwerk, sie ist Betriebswirtin und führt eine eigene Unternehmensberatung in Taufkirchen, XC Consulting. Sie weiß also, wo sie welche Hebel in Bewegung setzen kann, hat ein Netzwerk im Rücken.

Trotzdem biss sie auf Granit beim Versuch, an eine staatliche Förderung für größere Produktionsräume zu kommen. Alle Förderstellen für Deutschland und Bayern hat sie abgeklappert: „Es war sehr entmutigend.“ Offenbar würden zurzeit digitale Startups bevorzugt, ist ihr Eindruck. Foldart passe in keine Schublade, sei weder digital, noch reines Handwerk oder „nur“ Kunst – schwierig für die Förderer, hier den richtigen Topf auszuwählen. „Es hieß auch mal wir seien zu klein – dabei habe ich vier Angestellte, wir machen bereits einen sechsstelligen Umsatz.“ Sie blieb hartnäckig am Ball, trotz Doppeljob als Geschäftsführerin von XC und des Startups, und zog schließlich einen Investor an Land, der ihr nun für Großaufträge seine Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.

Neue Objekte und ein Künstlerpreis

Es wäre auch nicht Heidrun Keims Stil, irgendwas dem Zufall zu überlassen. Jeder Lieferant, jeder Partner ist handverlesen. So kommt alles Material aus Bayern, das Acrylglas direkt aus Kolbermoor. Ein Unternehmen aus Österreich liefert zur Oberflächenveredelung so extravagante Materialien wie Wolle vom Tiroler Bergschaf, echtes Blatt, Pinienrinde und Moos.

Jetzt geht es Keim darum, Foldart weiterzuentwickeln, die Marke bekannter zu machen und sich vielleicht irgendwann ganz aufs Startup zu konzentrieren. Bis es so weit ist, hat sie einige Projekte in der Mache: Im Frühsommer soll Foldakustik auf den Markt kommen, akustisch wirksame Wandelemente, für die sie ein Patent beantragt hat.

Für Künstler hat sie den Foldart-Preis ins Leben gerufen, der 2018 erstmals verliehen wurde. „Wer teilnimmt, soll sich fotografisch, künstlerisch oder malerisch mit einem Foldart auseinandersetzen“, beschreibt sie den Wettbewerb, der mit 1000 Euro dotiert ist. Heuer findet die Preisverleihung in der Kolbermoorer Akademie der Bildenden Künste statt– bis 30. Juni können sich regionale Bewerber bei Foldart zur Teilnahme anmelden.

Ursprünge in der Luftfahrttechnik

Heidrun Keims Unternehmen geht zurück auf das Jahr 2007 und eine Erfindung von Prof. Dr. Klaus Drechsler, damals Leiter des Stuttgarter Instituts für Flugzeugbau: Funktionale Falt-Leichtbaustrukturen. Auf Basis exakter mathematischer Modelle entstanden Faltkerne aus Hochleistungspapier mit herausragenden mechanischen, thermischen und akustischen Eigenschaften – die später in einer Ausgründung namens Foldcore weiterentwickelt wurden. Sie kommen heute etwa in Luft- und Raumfahrt als Leichtbauwerkstoff für Sandwichkonstruktionen zum Einsatz. Hier kommt Heidrun Keims Beratungsunternehmen XC ins Spiel, dessen Schwerpunkt der Leichtbau ist. Fasziniert von der Ästhetik der Faltkerne, gründen sie, Klaus Drechsler und Faltkern-Spezialist Dr. Yves Klett Ende 2016 das Unternehmen und die Marke Foldart. Im Sommer 2017 kommt die erste Kollektion auf den Markt.

Artikel 6 von 8