Von Vorreitern und Nachzüglern

von Redaktion

Innovation: Welche Bedeutung hat sie für die Unternehmen in der Region? Welche Erfolgsfaktoren spielen eine Rolle? Wo sind Treiber, wo Hürden? Diesen Fragen und mehr widmete sich die neueste Studie des Seeoner Kreises und der TH Rosenheim, die in Kloster Seeon vorgestellt wurde.

Prof. Reinhart

Seeon –Globalisierung, digitale Transformation, Kundenbedürfnisse und der Kampf im Wettbewerb – Unternehmen sind heute permanent herausgefordert. Laufend müssen daher neue Produkte herausgebracht, Kosten gesenkt, Prozesse verbessert und Geschäftsmodelle überdacht werden. Innovation heißt das Zauberwort –doch wie bewerkstelligen die regionalen Unternehmen diese, für wie relevant halten sie Innovation überhaupt? Fragen wie diesen gingen der Wirtschaftsverbund Seeoner Kreis e.V. und die Technische Hochschule Rosenheim in ihrer neuen, gemeinsamen Studie nach. Deren Ergebnisse wurden im Rahmen der „Seeoner Gespräche“ im gleichnamigen Kloster vorgestellt.

Teilnehmer vertreten alle Branchen

Ein gutes Jahr Arbeit hatten Bettina Oestreich, Geschäftsführerin des Seeoner Kreises, und Prof. Dr. Brigitte Kölzer von der TH in die Studie investiert. Unterstützt wurden sie dabei von den Studenten der betriebswirtschaftlichen Fakultät, verschiedenen Fachbereichen der TH sowie ausgewählten Unternehmen der Region, die im Vorfeld an Workshops und Interviews teilnahmen. Den Fragebogen erhielten 1400 Unternehmen, 195 von ihnen nahmen an der umfassenden Befragung teil. Mit der laut Brigitte Kölzer „sehr guten“ Rücklaufquote von 14 Prozent stehen die teilnehmenden Firmen zum Großteil für den Mittelstand und insgesamt für 83000 Mitarbeiter; alle Branchen sind darin vertreten.

Im Ergebnis schätzen sich die Unternehmen aus dem Raum Südost als innovativ ein, sehen sich in Produktinnovationen sogar als Vorreiter im internationalen Vergleich. Die meisten Studienteilnehmer schätzen Innovation für den Unternehmenserfolg als „sehr wichtig“ ein: 55 Prozent tun das schon heute; für 67 Prozent wird das Thema in fünf Jahren noch relevanter sein.

„Je größer die Unternehmen, desto wichtiger ist Innovation für sie“, so Oestreich, die die Studie mit Kölzer vorstellte. Demnach halten 52 Prozent der Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern Innovation heute für „sehr wichtig“ und 81 Prozent in fünf Jahren. Betriebe mit weniger als 250 Mitarbeitern stimmen dem zu 54 beziehungsweise zu 60 Prozent zu. Was die Dynamik des eigenen Unternehmensumfelds betrifft, so schätzen 49 Prozent diese als „mittel“ ein, während 45 Prozent sehr viele Veränderungen wahrnehmen. „Geht es um die Bereiche, in denen die Unternehmen selbst innovativ sind, zeigen sich signifikante Unterschiede“, ging Oestreich ins Detail. Bei Produktinnovationen bewerten sich 83 Prozent der Unternehmen als Vorreiter oder als innovativ; „17 Prozent betrachten sich hier aber nur als Mitläufer oder als Nachzügler.“ Zurückhaltender bewerten sich die Unternehmen selbst, wenn es um Prozess- und Organisationsinnovation geht.

Lediglich fünf Prozent der Umsätze fließen insgesamt in Innovationstätigkeiten, drei bis zehn Prozent der Mitarbeiter befassen sich in den Unternehmen hauptberuflich mit Innovationsfragen. Nur 60 der 195 teilnehmenden Firmen betreiben einen strukturierten Innovationsprozess, während der Großteil Innovationsaktivitäten eher ad hoc auslösen möchte. Wichtigste Erfolgsfaktoren sind offenbar gut ausgebildete Mitarbeiter und flache Hierarchien. Wissensmanagement und -austausch soll in den nächsten Jahren bei vielen mehr Bedeutung erhalten.

TH: Verstärkt auf Wirtschaft zugehen

Kundenanforderungen (81 Prozent) sowie Markt- und Wettbewerbsanalysen (63 Prozent) sind die wichtigsten Treiber für Innovationen. Digitalisierung und Industrie 4.0. spielen heute (63 Prozent) und in fünf Jahren (67 Prozent) eine große Rolle.

Als größte Barrieren empfinden die Befragten mangelnde Ressourcen wie Zeit und Kapital, zögerliche Verwirklichung von Ideen und den Mangel an qualifiziertem Personal. Die Breitbandversorgung dagegen rückt wie etwa Zugang zu Kapital in den Hintergrund.

Wie die Studie zeigt, finanzieren die Unternehmen Innovationsausgaben überwiegend aus Eigenmitteln. 80 Prozent gaben an, keine Förderungen zu beantragen – vor allem wegen dem hohen bürokratischen Aufwand.

Ganz ohne Partner geht es selten. Überrascht, so Oestreich und Kölzer, sei man bei der Auswertung darüber gewesen, dass Unternehmen erst nach Kunden und Lieferanten an die Hochschulen als mögliche Kooperationspartner denken. Nur 33 von 195 Unternehmen gaben an, regelmäßig mit Hochschulen oder Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten: Knapp über die Hälfte tut dies gelegentlich, 31 Prozent noch nie. Wie sich zeigte, wird die Hochschule vor allem wegen ihrer kreativen Kompetenz geschätzt; nur elf Prozent der Befragten kennen etwa das Potenzial in Forschung und Entwicklung der TH. „Wir werden Wege finden müssen, wie wir das Thema Innovation mit den Unternehmen voranbringen können“, schloss Brigitte Kölzer.

„Zu Innovationskraft gehört auch eine Portion Abenteuerlust“

Gastredner Prof. Dr. Gunther Reinhart von der Technischen Universität München und dem Fraunhofer-Institut IGCV Augsburg bestärkte die Gäste des „Seeoner Gesprächs“ darin, den Austausch zwischen Hochschule und Industrie in Sachen Innovationstätigkeit zu intensivieren. Allgemein falle Deutschland weit zurück nicht nur bei der Digitalisierung, sondern auch in seiner Innovationskraft. „In den Unternehmen mangelt es an Abenteuerlust“, folgerte Reinhart und sprach vom „Innovator´s Dilemma“: Unter der „Käseglocke der Sicherheit“ lebe es sich zwar bequem, dennoch blieben mutige Entscheidungen und Neuerungen aus, was fatal sei für die Wettbewerbsfähigkeit. Innovationskultur müsse stets Chefsache sein, unter der Voraussetzung, dass die entsprechenden Räume – auch im übertragenen Sinne – dafür geschaffen würden. Innovativ sein bedeute auch Versuch und Irrtum, in Deutschland zu sehr mit „Versagen“ verknüpft. In den USA dagegen werde eine „Fehlerkultur“ gelebt, in der Scheitern als Erfahrung gelte.

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