Interview: Wie kann das Thema nachfolge gemeistert werden?

„Intensiv suchen und recherchieren“

von Redaktion

So viele Unternehmen wie noch nie sind auf Nachfolgesuche. Für nicht wenige wird es eng: Auf der einen Seite die alternden Firmeninhaber, auf der anderen die 25- bis 45-Jährigen, die sich offenbar immer weniger für die Selbstständigkeit interessieren. IHK-Berater Oliver Nerz ist täglich mit dem Thema konfrontiert.

Unternehmensnachfolge ist als Thema fast so präsent wie Digitalisierung und Datenschutz. Warum?

Die Unternehmensnachfolge hat eine enorme gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Alleine in Stadt und Landkreis Rosenheim stehen bis 2021 knapp 800 Unternehmen mit über 13000 Beschäftigten vor der Übergabe.

Anscheinend schieben viele ältere Unternehmer das Thema Nachfolge auf die lange Bank. Behindert vielleicht auch die zunehmende Bürokratie, über die Unternehmer oft klagen, die Auseinandersetzung mit der Nachfolge?

Mehr als die Bürokratie sehe ich hier die Herausforderung auf der emotionalen Ebene beim Betriebsinhaber, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Man muss sich mit dem Älterwerden, Ruhestand, Machtverlust, Krankheit oder Tod auseinandersetzen.

Was sind die wichtigsten Aspekte, die es beim Thema Nachfolge zu beachten gilt?

Egal, ob die Übergabe innerhalb oder außerhalb der Familie erfolgt – je früher sich ein Unternehmer über die unterschiedlichen Möglichkeiten Gedanken macht und erste Vorbereitungsmaßnahmen ergreift, umso besser wird ihm die Übergabe gelingen. Einzuplanen sind mindestens drei bis fünf Jahre, denn nur mit ausreichend Vorlauf kann der Inhaberwechsel unter betriebswirtschaftlichen, steuerlichen und rechtlichen Gesichtspunkten optimiert werden. Es bietet sich so auch die Möglichkeit an, dass Übergeber und Nachfolger einige Zeit parallel in der Geschäftsführung aktiv sind. Das verschafft dem Nachfolger eine optimale Einarbeitungszeit. Eine ungeplante Übergabe im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge, weil ein Testament oder Erbvertrag fehlen, ist unbedingt zu vermeiden. Diese Situation gestaltet sich besonders schwierig, wenn es mehrere Erben gibt.

Welche Probleme aus der Praxis tauchen in Ihren Beratungen immer wieder auf?

In den meisten Fällen wird die Nachfolge zu spät angegangen. Das gilt sowohl für die familieninterne Nachfolge als auch für die Suche nach einem externen Übernehmer. Laut einer Studie von der KfW-Bankengruppe sind rund 36 Prozent der Unternehmer älter als 65 Jahre und sogar 23 Prozent älter als 70 Jahre. Auch bei mir ruft hin und wieder ein Betriebsinhaber an, der mir sagt: „Ich bin jetzt Mitte Siebzig und würde gern so bald wie möglich aufhören, was jetzt?“ Schon heute zeichnet sich ab, dass die Relation von Übergeber und Übernehmern in der Industrie bei fünf zu eins liegt. Das heißt, von fünf Unternehmern kann sich nur einer über einen Nachfolger freuen. Deshalb ist eine intensive Suche und Recherche notwendig, um eine adäquate Nachfolge zu finden. Im Handel und in der Gastronomie sehen wir ein etwas besseres Verhältnis von zwei zu eins.

Woran scheitern die meisten Übernahmen Ihrer Erfahrung nach?

Das Unternehmen muss für die Nachfolge attraktiv sein. Das heißt, das Geschäftsmodell muss up to date sein, das Fortbestehen und die Leistungsfähigkeit müssen gesichert sein. Es sollte daher in Erfolgszeiten übergeben werden, nicht erst, wenn Investitionen zurückgefahren werden oder das Unternehmen tot gespart wurde. Es ist aber zu beobachten, dass Unternehmer, je älter sie werden, weniger investitionsfreudig sind, beispielsweise weniger in die Modernisierung der Gebäude oder in die Digitalisierung stecken.

Es geht dabei auch ums Geld.

Natürlich. Oft herrscht eine Diskrepanz beim Kaufpreis vor. Der Unternehmer möchte sein Lebenswerk honoriert sehen und durch den Verkauf seine Alterssicherung decken. Beides sind Umstände, die für den Nachfolger nicht zählen. Der Kaufpreis muss aus den künftigen Erträgen erwirtschaftet werden können und die Finanzierung gesichert sein. Der emotionale Wert unterscheidet sich meist erheblich vom erzielbaren realistischen Preis. Dabei kann es durchaus um einen sechsstelligen Betrag gehen. Was die Übernahme durch die eigenen Kinder angeht, stehen dabei auch die steuerlichen Freibeträge im Raum.

Was kann eine erfolgreiche Übergabe unterstützen?

Sowohl bei einer familieninternen als auch der Firmenübernahme durch einen externen Interessenten empfehle ich, die Begleitung des Prozesses durch einen neutralen Moderator – er ist emotional nicht eingebunden und kann sachlich vorgehen.

Was ist die häufigste Übergabe-Form in der Region?

Es verbleiben etwa zwei Drittel der Unternehmen in der Familie. Meistens geht das Unternehmen unentgeltlich in Form der vorweggenommenen Erbfolge oder Schenkung auf den Junior über. Auch die schrittweise Übertragung des ganzen Unternehmens oder von Anteilen daran durch die Beteiligung des Nachfolgers an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft sind möglich, ebenso wie die sogenannte gewillkürte Erbfolge per Testament oder Erbvertrag.

Entscheiden mittelständische Unternehmer bei der Nachfolge anders als diejenigen kleinerer Betriebe mit einer Handvoll Mitarbeiter?

Die organisatorischen Vorbereitungen sind unabhängig von der Größe des Unternehmens. Entscheidender ist, ob das Unternehmen in Familienbesitz ist. Unterschiede bei der Betriebsgröße finden sich insbesondere auf der steuerlichen Seite und der Form der Übergabe. Der Unternehmer erzielt mit dem Verkauf einen Veräußerungsgewinn, welchen er im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung versteuern muss. Da mit dem Verkauf in der Regel die Auflösung stiller Reserven verbunden ist, kann die Belastung sehr hoch ausfallen. Der vom Erwerber gezahlte Kaufpreis wirkt sich bei der Besteuerung des laufenden Gewinns einer Personengesellschaft steuermindernd aus. Zu konkreten steuerlichen Auswirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten ist unbedingt ein Steuerberater hinzuziehen. Interview: Elisabeth Sennhenn

Unternehmen mit Nachfolgebedarf bis 2021 in der Region

In Stadt und Landkreis Rosenheim betrifft das Thema Nachfolge nach Berechnungen der IHK knapp 800 Unternehmensinhaber mit über 13000 Beschäftigten.

In Altötting suchen 200 Unternehmensinhaber mit über 3200 Beschäftigten einen Nachfolger.

In Stadt und Landkreis Mühldorf sind 220 Unternehmensinhaber mit über 3700 Beschäftigten betroffen.

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