New York – Börsensturz, Geldnot, eine Pleitewelle droht: In Nordamerikas Cannabis-Industrie macht sich nach dem Rausch der vergangenen Jahre Katerstimmung breit. Trotz des Booms im Zuge der Legalisierung in Kanada und etlichen US-Bundesstaaten wurden die hohen Erwartungen vieler Unternehmer und Anleger bislang nicht erfüllt. Inzwischen deutet sogar einiges auf eine Investitionsblase hin. Ist die Luft schon wieder raus aus dem Trendthema?
Die Hoffnungen waren enorm – dafür gab es auch gute Gründe. Im Jahr 2018 ließen zuerst der bevölkerungsreichste US-Bundesstaat Kalifornien und dann Kanada Marihuana als Genussmittel zu. Damit öffneten sich die bislang weltweit größten Märkte für legalen Anbau und Handel der Droge, was einen Ansturm von Investoren auslöste. Die Aussicht auf hohe Renditen lockte Milliarden an Anlegergeld an. Doch das vergangene Jahr brachte die Branche mit Wucht auf den Boden der Realität zurück.
Der Marihuana-Aktienindex WEED, der die Wertentwicklung börsennotierter Cannabis-Unternehmen misst, brach 2019 um fast die Hälfte ein. Seit April liegt er sogar mit deutlich mehr als 60 Prozent im Minus. Rund 25 Milliarden Dollar haben die größten sechs Konzerne seitdem an Börsenwert eingebüßt. „Dies ist das 2008 der Cannabis-Industrie“, meint Kevin Murphy, der Chef des Branchenriesen Acreage Holdings – ein Vergleich mit dem Horrorjahr der Finanzkrise.
Was sind die Gründe für den Absturz? In den USA ist Marihuana zwar mittlerweile in 33 Bundesstaaten zu medizinischen Zwecken oder ganz erlaubt, doch unter dem Bundesgesetz nach wie vor verboten. Solange sich dies nicht ändert, stehen Cannabis-Firmen vor Problemen. Banken, Versicherer und Finanzdienstleister machen einen Bogen um die Branche – Kredite und sogar Konten sind häufig schwierig zu bekommen. In Krisenzeiten kommt noch ein weiterer großer Nachteil hinzu.
Denn wegen des Verbots unter dem Bundesgesetz können die Unternehmen auch keinen Gläubigerschutz unter dem Insolvenzrecht beantragen. Und die Situation scheint bereits prekär. Laut Finanzdienst Bloomberg erhalten nur noch die stärksten Firmen frische Mittel an den Kapitalmärkten. Einem Dutzend kleinerer Unternehmen drohe 2020 die Pleite, zitiert Bloomberg einen anonymen Manager aus der Branche. Einigen Firmen könne schon in den nächsten Wochen das Geld ausgehen.
Selbst einige große Unternehmen sind in Nöten. So kündigte das kalifornische Schwergewicht MedMen Enterprises jüngst einen radikalen Personalabbau sowie Verkäufe von Geschäftsteilen an und sah sich trotz ungünstiger Konditionen zu einer Kapitalerhöhung gezwungen. Im US-Nachbarland Kanada ist die Lage zwar anders, aber ebenfalls kritisch. Marihuana ist hier bundesweit erlaubt, dennoch tun sich viele Firmen schwer. Die ersten Insolvenzen haben bereits begonnen.
Die Zustimmung der Menschen zur Legalisierung war nie höher: Einer CBS-Umfrage zufolge sprachen sich 2019 rund 65 Prozent der Erwachsenen in den USA für legales Marihuana aus – ein Höchstwert.