Gewalt im Amateurfußball

Der Bolzplatz als Tatort

von Redaktion

Von Britta Schultejans

München – Paul Hennemann (71) will zurzeit nicht mehr sprechen über den 6. Mai dieses Jahres. Damals wurde der Schiedsrichter vom SV Sambach bei Bamberg im Spiel zwischen dem SC Hertha Aisch und der zweiten Mannschaft der SpVgg Jahn Forchheim in der 75. Minute von einem Forchheimer Spieler so heftig attackiert, dass er danach bewusstlos am Boden lag.

Auf dem Online-Portal „Infranken.de“ hieß es als Bildunterschrift über die Attacke: „Ein Fußballspiel wollte der Fotograf des Fränkischen Tags beim SC Hertha Aisch fotografieren, in der 78. Minute verließ er einen Tatort.“ Hennemann hat seinen Angreifer verklagt. Deswegen möchte er über den Vorfall derzeit nichts mehr sagen.

Nach Pfingsten sah der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sich gezwungen, Randale bei Amateur-Spielen offiziell zu verurteilen. Beim Spiel zwischen Babelsberg 03 und Energie Cottbus musste aus Sicherheitsgründen die Siegerehrung vertagt werden. Beim Koblenzer Stadtderby im Rheinlandpokal wurden drei Menschen, darunter ein Sechsjähriger, durch Pyrotechnik verletzt. Tatort Fußballplatz.

„Prinzipiell finden jedes Wochenende in Deutschland rund 80 000 Begegnungen statt, die weitgehend friedlich verlaufen“, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Metzger von der Uni Siegen. Erst vor wenigen Tagen meldete der DFB, dass 99,51 Prozent aller Spiele im Amateurfußball störungsfrei verlaufen. Das ergab eine Auswertung der Online-Spielberichte der Schiedsrichter. Nur fünf von 10 000 Spielen wurden demnach wegen Gewalt oder Diskriminierung abgebrochen. Allerdings wären das – bei 80 000 Spielen – 40 an jedem Wochenende in der Saison.

„Allein in Bayern sind jedes Wochenende – rechnet man Spieler, Trainer, Funktionäre und Zuschauer zusammen – rund eine Million Menschen auf Amateurfußballplätzen unterwegs“, sagt der Soziologe Tim Frohwein, Dozent an der Hochschule Fresenius München. Er forscht zum „Mikrokosmos Amateurfußball“. Und: „Die gesellschaftliche Bedeutung des Amateurfußballs wird in Deutschland unterschätzt.“

„Es stecken ja immer Menschen dahinter“, sagt Thaya Vester vom Institut für Kriminologie der Universität Tübingen, die ein Buch mit dem Titel „Zielscheibe Schiedsrichter“ geschrieben hat. „Und für einen Schiedsrichter ist so etwas immer traumatisierend.“ Sie sagt auch: „Das, was in den Statistiken auftaucht, ist die Spitze des Eisbergs. Wir haben einen riesigen Graubereich an Unhöflichkeiten und Beleidigungen.“ Und dabei sei so etwas wie der Schlachtgesang „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“, der ja formal eine Bedrohung sei, heute nicht mal mehr eine Beleidigung, sondern „allgemeines Liedgut“. Zudem sagt sie, dass gewalttätige Attacken fast ausschließlich im Männerfußball vorkommen. „Bei den Frauen ist das kein Thema – und wenn doch, dann gab es vorher schon Streit, der sich auf dem Spielfeld entlädt.“

Als ein junger Spieler mit einer abgebrochenen Glasflasche bei einem Spiel vor einigen Jahren auf den Schiedsrichter losging, wusste Salih Aydogan, dass er etwas tun muss. Der 37 Jahre alte Polizist verbringt seine Zeit auch als Krisenmanager für den Bayerischen Fußball Verband. Aydogan arbeitet mit Vereinen, deren Spieler auffällig geworden sind. Wenn es in einem Hinspiel zwischen zwei Clubs Probleme oder sogar Prügeleien gab, ist er zur Stelle, damit das Rückspiel friedlich verläuft.

Einmal, sagt er, hat er die Spieler der verfeindeten Vereine miteinander frühstücken lassen. „Wer sich gegenseitig das Salz oder die Butter gereicht hat, geht im Spiel nicht aufeinander los.“ Der Plan ging auf. Das Rückspiel verlief ohne Komplikationen.

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