Historischer Protest gegen Waffengewalt in den USA

„Willkommen zur Revolution“

von Redaktion

von Marina Wudy und Michael Donhauser

Washington – „Ich habe einen Traum“, sagt die kleine Yolanda. Auf der Bühne vor dem Kapitol in Washington spricht sie die Worte, die vor ihr schon einmal ein sehr berühmter Amerikaner fast an gleicher Stelle gewählt hatte. Der Traum von Martin Luther King Jr. war 1963 das Ende jeglicher Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen in den Vereinigten Staaten. Yolanda ist die Enkeltochter des legendären und vor 50 Jahren durch die Gewehrkugel eines Rassisten zu Tode gekommenen Predigers.

Yolandas Traum handelt nicht mehr so sehr von der Gleichstellung der Afro-Amerikaner. Ihr Traum dreht sich um das Ende des Schusswaffenmissbrauchs in den USA. „Ich habe einen Traum: Dass genug genug ist“, sagt die Kleine vor einer halben Million Zuschauern auf der Pennsylvania Avenue der US-Hauptstadt. Der Auftritt des Mädchens ist der emotionale Höhepunkt einer Demonstration, die in die Geschichtsbücher eingehen soll. Tausende kämpfen mit den Tränen.

„March For Our Lives“ (etwa: „Demonstration für unsere Leben“) überschreiben die Schüler der Marjory Douglas Stonemann Highschool in Parkland in Florida die Kundgebung. Aufgerufen hatten sie dazu, nach dem ein Massaker mit 17 Toten ihre Schule erschüttert hatte. In Los Angeles, Seattle, New York, San Francisco und vielen anderen Städten Amerikas gingen insgesamt mehr als eine Million Menschen auf die Straße, viele weitere verfolgten das Geschehen an den Fernsehschirmen. Prominente machten mit: Oprah Winfrey und das Ehepaar George und Amal Clooney gaben zusammen eine Million Dollar.

Es zeugt von einer ungewöhnlichen Zähigkeit im von rasend schnell wechselnden Nachrichtenzyklen geprägten Amerika, dass sich die Überlebenden von Parkland über einen langen Zeitraum Gehör bei einer breiten Öffentlichkeit verschaffen konnten. Einige der Schüler kommen selbst auf die Bühne, sie geben dem Kampf gegen Waffengewalt in den USA ein Gesicht. Tränen fließen, Stimmen überschlagen sich. Eine der Rednerinnen muss sich vor Aufregung übergeben.

Rhetorik und Emotion lassen keinen Zweifel daran: Diese jungen Leute haben einen festen Willen. Ein Umdenken beim Umgang mit Schusswaffen muss her. „Willkommen zur Revolution“, sagt Cameron Kasky, einer der Wortführer der Schüler aus Parkland, unter dem euphorischen Jubel Hunderttausender. „Diese Demonstration ist nicht der Höhepunkt, sondern der Beginn unserer Bewegung“, sagt er entschlossen.

Täglich werden in den USA Menschen mit völlig legal beschafften Pistolen und Gewehren umgebracht, täglich kommt es auch zu dem, was die Amerikaner als „Mass Shooting“ bezeichnen, als Schusswaffeneinsatz mit mehreren Opfern. Fast jeden Tag kommt es auch zu Unfällen mit Schusswaffen, bei denen etwa Kleinkinder ihre Eltern oder sich selbst erschießen, weil eine geladene Waffe in ihrer Griffweite lag.

Die mächtige Waffenlobby, angeführt von der Schusswaffen-Organisation NRA (National Rifle Association), und ihr Einfluss auf die Politiker machen es möglich, dass der gesunde Menschenverstand bei politischen Entscheidungen völlig ausgeblendet werden kann. Der Zugang zu Schusswaffen ist in den USA so lax geregelt wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Die Zahl der Todesopfer durch Schusswaffen ist in den USA so hoch wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Dennoch kommen immer wieder Politiker mit Argumenten durch, das Recht auf Selbstverteidigung sei in der Verfassung festgeschrieben.

Doch Parkland könnte etwas verändert haben. Die im November bevorstehenden Zwischenwahlen für den US-Kongress hat die Bewegung als Hebel für die Umsetzung ihrer Ziele ins Visier genommen. „Vote them out!“ („Wählt sie ab!“) tönt es als Sprechchor von den Demonstranten.

Der Druck auf die Politik, endlich strengere Regeln beim Zugang zu Schusswaffen zu erlassen, wächst enorm. Präsident Donald Trumps vorsichtiges Vorgehen, nun erst einmal die sogenannten Bump Stocks zu verbieten, die im Nu halbautomatische Waffen zu schnell feuernden Maschinenpistolen machen, dürfte sie längst nicht zufrieden stellen.

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