Berlin/Brüssel – Die Wirtschaftsverbände in Deutschland haben einerseits mit Erleichterung auf die Wahl Ursula von der Leyens (CDU) zur neuen EU-Kommissionspräsidentin reagiert, andererseits aber auch mit Sorge. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte von der Leyen auf, „in den kommenden fünf Jahren ein starkes Europa zu formen“, warnte aber zugleich: „Die Wettbewerbsfähigkeit muss im Vordergrund stehen, nicht neue europäische Regulierungen.“ Die EU-Sozialpolitik dürfe „nicht vom wirtschaftlichen Erfolg getrennt werden“.
In ihrer Bewerbungsrede vor dem Europäischen Parlament hatte von der Leyen etliche Projekte angekündigt, die als Zugeständnis an die politische Linke gewertet wurden, um die notwendige absolute Mehrheit bei der Wahl zur Kommissionspräsidentin zu erreichen. So etwa eine europäische Arbeitslosenrückversicherung, strengere Klimaziele und einen europäischen Mindestlohn.
„Wenn sie den Mittelstand wirklich stärken will, wie sie es in ihrer Bewerbungsrede ansprach, würde das einen Schub für Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt in der EU bedeuten“, sagte der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée der Agentur Reuters. „Sie sollte allerdings davon Abstand nehmen, mit einer europäischen Arbeitslosenversicherung das Umverteilungskarussell immer schneller zu drehen.“
Kritik kommt auch vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). „Zentralistische Maßnahmen wie etwa ein EU-Mindestlohn schwächen die Wettbewerbsfähigkeit der EU, anstatt sie zu stärken“, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. „Möglicherweise musste von der Leyen solche Zusagen machen, um ausreichend Stimmen zu bekommen, doch damit bezahlt sie einen hohen Preis für ihre Präsidentschaft.“ Lohnpolitik müsse weiter Sache der Nationalstaaten bleiben. Für schwächere Volkswirtschaften „kann ein EU-Mindestlohn zur Belastung werden“, warnte Felbermayr.
Die schnelle Wahl der neuen Kommissionspräsidentin wurde in Wirtschaftskreisen aber grundsätzlich begrüßt: Eine Mehrheit der europäischen Parlamentarier sei „ihrer Verantwortung für ein handlungsfähiges Europa gerecht geworden“, erklärte etwa BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Dies sei „ein wichtiges Signal in einer weltpolitisch und weltwirtschaftlich stürmischen Zeit“.