Ist es der Geist Napoleons, der weht, wo er will? Als ein kaum zu bändigender Wirbelwind, der – verkleidet als Mistral – mit seinen orkanartigen Böen die Wasserfluten des westlichen Mittelmeeres aufpeitscht? Zuzutrauen wäre es ihm schon, dem „Großen Korsen“, der nach der Schmach von Waterloo in gekränkter Eitelkeit selbst vor seiner Heimatinsel nicht Halt macht. Dabei selbst nach 200 Jahren stets getrieben von der Anmaßung, sich mithilfe der aufgewühlten Elemente doch noch als der Stärkere zu erweisen.
Für alle, die es an Bord der „Royal Clipper“ hin und her schüttelt, stehen allerdings keine historischen Erwägungen im Vordergrund. Sie interessiert vor allem die Frage, wann die tosenden Elemente endlich von dem gepeinigten Fünfmaster ablassen.
Als einziger Trost dient ihnen die Zuversicht, eine erfahrene Crew auf der Brücke zu wissen, die selbst in einer Ausnahmesituation wie dieser vom richtigen Instinkt geleitet wird.
Mastklettern ins Krähennest
Doch dann finden die launischen Allüren des Mittelmeeres ein jähes Ende, und ein strahlend blauer Himmel vermittelt neue Aufbruchsstimmung. Ja selbst die ersten Mastkletterer treffen sich nun wieder im Krähennest, um sich über ihre persönlichen Erlebnisse mit den entfesselten Naturgewalten auszutauschen. Schon ein kurzer Blick aus luftiger Höhe über das Deck bestätigt, dass der Fortsetzung der Reise nichts mehr im Wege steht.
Ziel sind die „Säulen des Herkules“. So nennt man die Felsformationen beiderseits der Straße von Gibraltar, die einst der stämmige Muskelprotz nach antiker Vorstellung allein mit seiner Körperkraft ans Tageslicht befördert haben soll. So war die Öffnung des Mittelmeeres zum Atlantik nach damaliger Vorstellung schnell erklärt.
Überwindung der Meerenge
Und dennoch steckte die Straße von Gibraltar jenseits aller mythologischen Erklärungsversuche voller Rätsel. Darauf verweist Kapitän Brunon während des langen Anlaufs, den der Clipper zum Westzipfel des Mittelmeeres hinnimmt.
Im jeweiligen Miteinander von Segelpracht und Motorkraft führt die Reiseroute vorbei an den Balearen bis zu einer nur schwer zu erahnenden Wasserschwelle, die dennoch schon in der Antike der Schifffahrt erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Wo aber lag das Problem?
Des Rätsels Lösung, so erklärt es Kapitän Brunon, besteht nach heutiger Sichtweise darin, dass die Wassermassen des Atlantiks in breiter Front aus erhöhter Position in das tiefer gelegene Becken des Mittelmeeres herabströmen. Und dass gleichzeitig das salzhaltigere und somit schwerere Wasser des Mittelmeeres in der Tiefe genau die umgekehrte Richtung einschlägt. Erst mithilfe von Treibankern und Netzen war es irgendwann möglich, sich auf das offene Meer des Atlantischen Ozeans hinausziehen zu lassen.
Als weniger kompliziert erweist es sich für die „Royal Clipper“, die allein schon wegen ihrer Ausmaße die Wasserhürde mit Bravour überwindet. Einziges Problem, so Erster Offizier Gerald, stellt der Gegenverkehr beim Abbiegen in südlicher Richtung dar. Ist doch die Straße von Gibraltar eine der am meisten befahrenen Schifffahrtswege der Welt.
Doch spätestens ab Tanger ist der Weg frei nach Casablanca, einer pulsierenden Großstadt mit dem größten Hafen des Landes. Und schließlich erweist sich der weiter südlich gelegene Hafen Safi als hervorragender Ausgangspunkt für einen Landausflug nach Marrakesch, der „Perle des Südens“ am Fuß des Hohen Atlas. Wilde Felsformationen und wüstenartige Sandebenen wechseln einander ab, bis das in bunten Farben erstrahlende Zentrum des afrikanischen Orients erkennbar wird.
Quelle der Ästhetik
Als ausgesprochen wohltuend erweist sich der Majorelle Garten des einstigen Modezaren Yves Saint Laurent. Geschützt durch eine hohe Mauer ähnelt die Anlage einer verborgenen Oase, in der sich zähe Wüstenpflanzen und tropische Gewächsinseln harmonisch ergänzen. Eine wunderbare Quelle der Ästhetik und Erholung, bevor das quirlige Leben im Bereich der Altstadt von Marrakesch auf den neugierigen Besucher einbrandet und spätestens auf dem Djemaa el Fna alle Sinne für sich beansprucht.
Ein ebenso bunter Kulturkreis findet sich nördlich der Straße von Gibraltar im spanischen Andalusien. Auch hier führt eine Überlandreise zu einem nur schwer zu übertreffenden kulturellen Höhepunkt, der Alhambra von Granada. In einer unglaublichen architektonischen Harmonie vereinigen sich die kunstvoll verzierten Palastanlagen mit den ebenso verspielten wie exotischen Gartenanlagen des Generalife. Rauschende Wasserquellen, plätschernde Springbrunnen und herrlich bunte Wandfliesen vervollkommnen das Bild.
Von der prächtigen Küstenstadt Cadiz aus steht nun das letzte Teilstück der Reise in Richtung Norden bevor. Und damit die letzte Möglichkeit, die Schifffahrt unter weißen Segeln noch einmal in vollen Zügen zu genießen. Dazu das Spiel von Wind und Wellen, schwankenden Schiffsplanken und knatternden Segeltüchern.
So rückt die portugiesische Hauptstadt Lissabon immer näher. Jene Kulturstadt an den Ufern des Tejo mit ihren prachtvollen Kirchen, ihren kostbaren Klöstern und Palästen. Ein anerkennender Blick geht wie selbstverständlich hinüber zum monumentalen Denkmal von Heinrich dem Seefahrer nahe dem Turm von Belem. War er nicht einer jener Pioniere, die den Aufbruch wendiger Segelschiffe über die Meere bis an das Ende der damals bekannten Welt erst ermöglichten? So schließt sich der Kreis einer abenteuerlich und zugleich romantischen Seereise rund um die Meerenge von Gibraltar.
Mehr Informationen beim örtlichen Reisebüro oder unter www.star-clippers.de. Bernd Kregel