Stadt – Land – Flucht

von Redaktion

Die Städte werden immer unbezahlbarer

Die Anziehungskraft urbaner Ballungsgebiete hält an. Doch auch Umlandgemeinden und sogenannte Schwarmstädte gewinnen an Attraktivität. Carolin Großhauser (Schwäbisch Hall) zeigt aktuelle Perspektiven.

Arbeit zieht an

Die meisten städtischen Neubürger kommen der Arbeit wegen: In einer Untersuchung der Stadt Frankfurt am Main nannte jeder Dritte einen neuen Job als Grund seines Umzugs. Der Stadtsoziologe Dieter Rink, Professor am Leipziger Umweltforschungszentrum (UFZ), erklärt die Magnetwirkung der urbanen Zentren so: „In den vergangenen 20 bis 25 Jahren waren es vor allem wissensbasierte Industrien oder Wirtschaftsbereiche, die Arbeitsplätze geschaffen haben. Und die befinden sich vor allem in den Großstädten und Metropolen. Dort gibt es Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, in deren Umfeld sich Start-ups gründen. Die generieren Arbeitsplätze, die sich häufig als nachhaltig herausgestellt haben. So haben sich diese Orte entgegen der Prognosen aus den 1980er- und 90er-Jahren zu Wachstumsinseln entwickelt.“

Marktmechanismen

Dort, wo es die attraktivsten Jobs gibt, fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Wie immer, wenn die Nachfrage groß, aber das Angebot knapp ist, verteuert sich die begehrte Ware: Die Mieten in den großen Ballungszentren explodieren. Insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen, junge Familien mit Kindern sowie Studenten tun sich daher schwer, angemessene und mit ihren Mitteln finanzierbare Wohnungen zu finden. Bundesweit müssten laut IW Köln bis 2020 jedes Jahr 380000 Wohnungen gebaut werden, um den Bedarf zu decken. Fertiggestellt wurden 2016 laut Statistischem Bundesamt aber nur 278000 – eine Lücke von über 100000 Wohnungen.

Ran an den Speck

2014 zogen erstmals seit 20 Jahren aus den sieben größten deutschen Städten – Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Düsseldorf und Stuttgart – mehr Bürger weg als neu hinzukamen. Ob man schon von einer Trendwende sprechen kann, bleibt allerdings abzuwarten.

Als häufigster Abwanderungsgrund werden finanzielle Gründe genannt, vor allem der aber angespannte Wohnungsmarkt. Ein Problem, das sich bei Familienzuwachs und damit steigendem Platzbedarf noch verschärft. Allerdings nimmt München eine Sondersituation ein: Der Zuzug von außen macht die Abwanderung der Städter ins Umland wett.

Die Großstadtflüchtlinge ziehen nicht in abgeschiedene Landstriche, sondern in den dichten Speckgürtel, der sich rund um die meisten Metropolen gebildet hat. Die S-Bahn ist hier quasi die Nabelschnur, die den neuen Wohnort mit dem Arbeitsplatz in der City verbindet. Wie die Allensbach-Studie „Wohnen in Deutschland 2017“ ergab, sind gut zwei Drittel der Bundesbürger nicht bereit, mehr als 30 Kilometer zum Arbeitsplatz zu pendeln. Die Umfrage, die die Anforderungen an das Wohnumfeld beim Erwerb einer eigenen Immobilie untersuchte, ergab zudem als wichtigste Kriterien: gute Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe (44 Prozent), gute medizinische Versorgung (42 Prozent) und gesundes Klima (40 Prozent).

Was sind Schwarmstädte?

Doch auch außerhalb der Metropolregionen sortiert sich vieles neu: So kam 2015 die GdW-Studie „Schwarmstädte in Deutschland: Ursachen und Nachhaltigkeit der neuen Wanderungsmuster“ zu dem Schluss, dass die deutsche Bevölkerung im Gegensatz zu früher – vor allem in den Jahren nach der Wiedervereinigung – nicht mehr großräumig von Ost nach West oder von Nord nach Süd zieht, sondern kleinräumig von Umland in die Landesmetropole sowie von Landkreisgemeinden in die Kreisstadt. Die Experten sprechen in diesem Zusammenhang von Schwarmstädten. Diese sind durch einen besonders hohen Anteil der 20- bis 35-Jährigen an der Bevölkerung definiert, was wiederum daran liegt, dass Schwarmstädte über für diese Altersgruppe besonders attraktive Faktoren verfügen: eine gefragte Universität oder Hochschule, eine besondere städtebauliche Struktur, eine interessante Lage, ein vielseitiges Kultur- und Freizeitangebot und natürlich Stellenangebote.

Leipzig, München und Frankfurt zählen zu den Metropolen, die von diesem Schwarmverhalten profitieren. In deren Windschatten aber klettern auch regionale Zentren wie Regensburg, Heidelberg, Münster oder Darmstadt im Städteranking deutlich nach oben. Gleichzeitig wachsen aber auch zahlreiche Kreisstädte überproportional. Im Umkehrschluss bedeutet dieses Schwarmverhalten auch eine zunehmende Abwanderung aus ländlichen Gebieten und strukturschwachen Städten.

Denn je geringer das Angebot an attraktiven Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen, an Mobilitätsangeboten, Gesundheitsversorgung und schnellem Internet, desto mehr – vor allem junge – Menschen ziehen aus der Region weg. Und je mehr die Bevölkerung abnimmt, desto weniger lukrativ und desto unwahrscheinlicher werden Investitionen in die dortige Infrastruktur.

Bezahlbares Wohnen

Die Entscheidung, in der bestens ausgestatteten Stadt oder auf dem Land zu leben, hängt laut Großhauser am Ende vor allem von einem ab: „Ob Schwarmstadt, Speckgürtel oder doch das Land – der Schlüssel dafür, wohin sich Menschen bewegen und wo sie ihr Lebensglück suchen, ist und bleibt bezahlbares Wohnen.“

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