Ausgeliefert

von Redaktion

Arte zeigt das Drama „Draußen in meinem Kopf“ über eine sehr spezielle Freundschaft

VON KATHARINA ZECKAU

Die Szene ist absurd und grauenvoll zugleich – der an Muskeldystrophie leidende Sven liegt in seinem Krankenbett, er trägt eine Atemmaske, es ist kurz vor Weihnachten. Zur Tür herein kommt ein vielköpfiger, mit Kerzen ausgestatteter Chor, der Sven mit dem schief vorgetragenen Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ zwangsbeglückt. Und Musikliebhaber Sven kann nichts dagegen tun – er ist der Situation völlig ausgeliefert. Ein Albtraum. Vielsagend ist diese Szene aber auch, weil sie den Blick lenkt auf die Menschen, die etwas Gutes tun wollen – in diesem Moment für Sven aber das Leid noch vergrößern.

Der Fernsehfilm „Draußen in meinem Kopf“, den der deutsch-französische Kulturkanal Arte heute um 21.55 Uhr ausstrahlt, hat viele solcher Szenen. Momente, in denen die Situation des bewegungsunfähigen Sven geradezu körperlich spürbar wird. Eine Mücke, die sich auf seine Hand setzt und zusticht, die CD, die plötzlich hängen bleibt – Sven kann es einfach nur hinnehmen beziehungsweise warten, bis Hilfe kommt. Samuel Koch, der seit seinem Unfall bei „Wetten, dass…?“ vor fast neun Jahren querschnittsgelähmt ist und seit dem Jahr 2014 als Theaterschauspieler arbeitet (siehe Kasten), liefert mit der Figur des Sven seine erste große Rolle in einem Film ab. Und es ist ein sehr guter Einstand geworden.

Die Abschlussarbeit des 31-Jährigen an der Schauspielschule Hannover über Behinderung auf der Bühne trug den Titel „Die Entdeckung des Schönen in der Reduktion“. Tatsächlich ist man überrascht, wie viele Facetten sich allein mit einem Gesicht als „Werkzeug“ abbilden lassen, wie nuancenreich Kochs Darstellung des Sven ist. Aber auch, wie viele überzeugende Perspektiven es vom immer gleichen Pflegezimmer gibt.

Für ihr beeindruckendes Langfilmdebüt konnte die Autorin und Regisseurin Eibe Maleen Krebs die renommierte Kamerafrau Judith Kaufmann gewinnen, die hier einmal mehr ihr Können zeigt. Wie Kaufmann etwa aus dem Spiel der Staubkörner im Gegenlicht ein wunderschön anzusehendes Schauspiel kreiert und zugleich einen Kommentar zu Svens Gefangensein abgibt – das ist große Kunst.

Die eigentliche Handlung setzt ein mit Christophs (Nils Hohenhövel) erstem Auftritt. Er absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Svens Wohnheim und soll als persönlicher Betreuer des etwa Gleichaltrigen fungieren. Sven aber reagiert zunächst ablehnend, testet die Grenzen des gutmütigen FSJlers und spielt seine Autorität aus. Dennoch gewöhnen sich die beiden aneinander, doch die neue Freundschaft wird auf die Probe gestellt, als die junge Pflegekraft Louisa (Eva Nürnberg) auftaucht.

Mit dem Sujet gemäß wenig Action erzählt, schafft Eibe Maleen Krebs ein Kammerspiel voller dunkler Momente, etwa wenn Svens sehnlicher (Todes-)Wunsch thematisiert wird, der Christoph (und mit ihm den Zuschauer) verstört. Krebs zeigt aber auch den rotzig-liebevollen Umgang der Heimbewohner untereinander.

Ein zutiefst wahrhaftiger Film, der wirklich nur auf den allerersten Augenschein hin an den französischen Kinohit „Ziemlich beste Freunde“ um die Freundschaft zwischen einem behinderten Millionär und seinem Betreuer erinnert. „Draußen in meinem Kopf“ ist viel trauriger, ehrlicher – und scheut sich nicht, dahin zu gehen, wo es wirklich weh tut.

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