„Verzeihen ist nicht etwas, was wir in erster Linie für den Täter tun“

von Redaktion

INTERVIEW MIT DER PSYCHOLOGIN FELICITAS HEYNE

Frieden zu schließen mit dem Menschen, der einem das Liebste genommen hat – der einzige Weg, selbst seinen Frieden zu finden? Wir sprachen über das Thema mit der Psychologin und Autorin Felicitas Heyne.

Vermutlich spielt der Faktor Zeit eine große Rolle – wie „bereit“ muss man innerlich sein, um den Schritt auf den Mörder zu überhaupt gehen zu können?

Das ist schwer so generell zu beantworten. Fest steht, dass man den Zeitpunkt wirklich nur sehr individuell für sich selbst finden kann. Man kann da nichts forcieren, es bringt auch nichts, sich selbst unter Druck zu setzen oder sich von anderen unter Druck setzen zu lassen. Der eine kann es früher, der andere später, mancher nie. Das Schwierigere ist eigentlich eher, sich selbst zu verzeihen. Erst wenn man sich selbst nicht mehr mit Schuldgefühlen plagt, kann man überhaupt darüber nachdenken, auch dem Täter zu verzeihen.

Viel hängt sicherlich auch vom Verhalten des Täters ab – ist ohne erkennbare Reue der Versuch der Aussöhnung überhaupt möglich und empfehlenswert?

Eigentlich genau das sollte nicht so sein. Beim Verzeihen geht es ja in erster Linie darum, aus genau dieser ohnmächtigen Opferrolle herauszufinden und wieder aktiv über das eigene Erleben und Empfinden zu bestimmen. Solange ich es vom Täterverhalten abhängig mache, ob ich ihm verzeihe oder nicht, bleibe ich ja in der Abhängigkeit von ihm. Er hat weiterhin Macht über mich – er bestimmt, ob ich verzeihen „kann“ oder nicht. Damit ist der Effekt des Ganzen eigentlich hinfällig, das Verzeihen verliert seinen Sinn. Natürlich mag es einfacher sein, einem reuigen Täter zu vergeben als einem, der keine Reue zeigt. Aber Verzeihen ist nicht etwas, was wir in erster Linie für den Täter tun, sondern etwas, was wir für uns selbst tun. Der Täter muss nicht mal wissen, dass wir ihm verzeihen. Das Entscheidende passiert in uns, nicht zwischen uns und dem Täter, wenn wir verzeihen.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es, mit dem Erlittenen seinen fertig zu werden? Was können Betroffene tun beziehungsweise „lernen“?

Viele Betroffene schaffen es, solche Erlebnisse zu verarbeiten, indem sie sich für andere Menschen in gleicher oder ähnlicher Situation engagieren. Damit verleihen sie dem Erlittenen quasi nachträglich eine Art Sinn – indem sie beispielsweise eine Selbsthilfegruppe gründen für andere Eltern, die auch ein Kind verloren haben, oder indem sie sich für die Veränderung rechtlicher oder sonstiger Gegebenheiten einsetzen, die sie als unzureichend oder nicht hilfreich erlebt haben. Dann fühlt es sich nicht mehr so an, als sei das Kind ganz umsonst gestorben.

Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.

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