„Ich habe immer polarisiert“

von Redaktion

Jürgen von der Lippe vollendet heute sein 70. Lebensjahr – die ARD ehrt ihn mit einer großen Geburtstagsshow

Von astrid kistner

Eitel? Auf jeden Fall. Dünnhäutig? Eher nicht. Dafür ist Jürgen von der Lippe zu lange im Geschäft. Seit über 40 Jahren bringt der Berufskomiker die Leute zum Lachen oder treibt sie in die Verzweiflung. Aktuell gelingt ihm das am Düsseldorfer Theater an der Kö, wo er mit seinem selbst gedichteten Boulevardstück „Die wollen nur spielen“ eine „Mischung aus Slapstick, Kalauer und Bildungsgelaber“ (so die „Westdeutsche Zeitung“) aufführt.

„Ich habe schon immer polarisiert“, sagt von der Lippe. „Glücklicherweise. Das Schlimmste wäre, wenn mich alle ,ganz nett‘ finden würden.“ Heute feiert der Entertainer seinen 70. Geburtstag. Die ARD schenkt ihm tags darauf ab 20.15 Uhr unter dem Titel „Mensch Jürgen!“ ein dreistündiges Überraschungsspektakel, moderiert von. Kollege Jörg Pilawa. Dass ihn sein ehemaliger Arbeitgeber mit dem Treppenlift die Showstufen hinunterschickt – von der Lippe nimmt’s mit Humor. Schließlich hat das Fernsehen ihn berühmt gemacht.

Rund 50 000 Sendeminuten hat der Moderator mit seiner anarchischen Energie gefüllt. Seine 40 Fernsehshows waren weit entfernt vom heutigen Einheitsbrei, der von der Lippe nur noch ein müdes Lächeln abringt. „Niemand bekommt mehr das Vertrauen für einen möglichen Geniestreich“, sagt er. Zu groß ist bei den Senderverantwortlichen die Angst vor einem Flop. Ob „So isses“, „Donnerlippchen“ oder die turbulente Spielshow „Geld oder Liebe“ heute noch funktionieren würden? Schwer zu sagen, probiert ja keiner. Und so ist Jürgen von der Lippe nicht wirklich traurig, dass er im Unterhaltungsreigen der Sender nicht mehr mittanzt.

Das Fernsehen und der am 8. Juni 1948 in Bad Salzuflen (Nordrhein-Westfalen) unter dem Namen Hans-Jürgen Dohrenkamp geborene von der Lippe – sie haben sich auseinandergelebt, wie er selbst ohne Bitterkeit diagnostiziert. Auf der Bühne fühle er sich ohnehin viel wohler. Getragen von der Sympathiewelle seines Publikums surft der Herr der Hawaiihemden souverän durchs Programm – zwischen Genitalwitz und Germanistikvorlesung.

Eine neue, mittlerweile 16. (!) Produktion ist in Arbeit. „Voll fett“ wird sie heißen. Anfang September geht von der Lippe damit auf Deutschlandtour und verbringt die Abende so, wie er es am liebsten mag: „Mit Singen, Saxofonspielen, Zaubern, Menschen auf der Bühne und natürlich Erzählen“.

Die Lust am Lesen und dem Spiel mit der Sprache begleitet ihn von frühester Kindheit an. Seit 2008 ist der Sohn eines Barkeepers und einer Köchin Ehrenmitglied im „Verein Deutsche Sprache“ – und das, obwohl er ein Freund derber Sprüche ist. In Carmen Nebels Show sei es ihm einst gelungen, viermal das Wort „ficken“ unterzubringen, erzählt er nicht ohne Stolz und sagt, dass sein 70. Geburtstag ihm schlicht „am Arsch vorbeigeht“. Weil: „Älter zu werden ist ja keine große Leistung – man braucht einfach nur Geduld.“

Über die verfügt der Mann mit dem Waschbrettbauch im Speckmantel zunehmend. Die große Gelassenheit bestimmt sein Leben, das meilenweit vom Ruhestand entfernt scheint. Fleißig füttert er seinen Youtube-Kanal „Lippes Leselust“ mit Literaturtipps und trägt bei seinen Bücherabenden in kleinen Spielstätten Kurzgeschichten, Anekdoten und Glossen vor. „Von Rotwein gestützt“, so sagt er selbst, hat er seinen ersten Roman mit dem schönen Titel „Nudel im Wind“ geschrieben, der im Januar kommenden Jahres erscheinen soll.

Zahlreiche Auszeichnungen pflastern seinen Weg: Goldene Kamera, Bambi, gleich zwei Grimme-Preise, der Echo und klar, auch der Deutsche Comedypreis. „Ich hatte bis jetzt ein wirklich sehr schönes Leben“, sagt Jürgen von der Lippe, „mit dem tollsten Beruf, der für mich denkbar ist und einer wunderbaren Frau, die mich machen lässt.“

Nach einem kurzen Ehe-Intermezzo mit Kollegin Margarethe Schreinemakers von 1986 bis 1988 ist der Humorist wieder mit seiner ersten Ehefau Anne Dohrenkamp verheiratet. Mit ihr wird er nach der Theatervorstellung heute Abend in aller Ruhe ein Gläschen Rotwein auf seinen 70. Geburtstag trinken. Eine große private Feier vermeidet er, weil kein Segen über Geburtstagspartys liegt, wie Jürgen von der Lippe sagt: „Die Eingeladenen halten es für selbstverständlich, die Nicht-Eingeladenen sind auf ewig beleidigt.“

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