Der Fall hatte es in sich: Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miro Nemec) müssen den Tod eines „Freiländers“ aufklären. So heißen die Menschen, die die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen, in diesem „Tatort“. Gemeinhin redet man von Reichsbürgern. Wie viele es in Deutschland gibt und was sie umtreibt, erklärt der Autor dieses Krimis, Holger Joos.
-Sie haben den ersten „Tatort“ über die Szene der Reichsbürger geschrieben. Wie ist diese Idee entstanden?
Die Idee kam mir vor knapp zweieinhalb Jahren, als es für das Thema eigentlich noch gar kein großes öffentliches Interesse gab. Ich hatte damals etwas über den „Fall Fitzek“ gelesen, über Peter Fitzek also, der das „Königreich Deutschland“ ausgerufen hatte. Er war meine erste Berührung mit dem Thema Reichsbürger.
-Wie sind Sie dann bei Ihren Recherchen vorgegangen? Man kann diese Reichsbürger ja wahrscheinlich nicht so einfach anrufen.
Das stimmt. Alle Versuche, Interviews zu führen, sind gescheitert. Es gibt auch meines Wissens keine Aussteigerszene wie in anderen Bereichen, wo Leute dann reden und aufklären wollen. Das für meine Zwecke „Gute“ war aber, dass die Reichsbürger medial sehr präsent sind. Es gibt unglaublich viel über sie zu lesen. Und es gibt einschlägige Seiten im Internet, auf denen sie selbst viel von sich und ihren Ideen preisgeben. Die meisten haben sogar einen ausgeprägten Drang zur Selbstdarstellung.
-Was sind Reichsbürger für Menschen? Kann man das überhaupt definieren?
Den typischen Reichsbürger gibt es meiner Meinung nach nicht. Man kann aber wohl drei Arten unterscheiden: Da sind diejenigen, die mit dem Ganzen Geld verdienen wollen. Die verkaufen Personalausweise, Autokennzeichen, sammeln Spenden ein und so weiter. Dann gibt es diejenigen, die in diese Welt eintauchen wollen, weil sie in der normalen Welt nicht mehr klarkommen. Und schließlich gibt es diejenigen, die die Sache als Witz sehen, als einfache Art, um zum Beispiel zu sagen: Ich will meinen Rundfunkbeitrag nicht mehr zahlen.
-Gibt es nichts, was diese drei Typen eint?
Doch, sie eint die Unzufriedenheit mit der Situation, in der sie leben. Sie fühlen sich nicht mehr aufgehoben, fühlen sich abgehängt. Sie haben das Vertrauen verloren.
-Vertrauen in was?
Hauptsächlich in staatliche Autoritäten. Vor allem vertrauen sie nicht mehr auf das, was andere sagen, was die Medien schreiben oder senden. Vieles, was Fakt ist, wird von diesen Menschen nicht mehr als Fakt angesehen. Deshalb suchen sie ihre eigenen Antworten. Es gibt im Film diese Szene, in der Leitmayr und der alte Mann über den Eiffelturm reden. Der alte Mann war noch nie in Paris, weiß aber natürlich trotzdem, dass es dort den Eiffelturm gibt, weil er auf etabliertes Wissen vertraut. Viele dieser „Reichsbürger“ haben dieses Vertrauen verloren. Das eint sie im Übrigen auch mit den vielen Verschwörungstheoretikern, die ja ebenfalls allgemein anerkanntes Wissen oft ablehnen und nach einer eigenen Erklärung der Dinge suchen, die besser in ihr Weltbild passt.
-Gibt es weitere Parallelen unter Reichsbürgern?
Ich denke, die Menschen, die wir Reichsbürger nennen, suchen nach einfachen Antworten in einer Welt, die wahnsinnig kompliziert geworden ist. Und sie suchen nach Identität. Vor 30, 40 Jahren war es noch so: Man ist in einem Ort geboren, dort aufgewachsen, man fängt an zu arbeiten und verbringt den Rest des Lebens dort. Heute ist die Welt ganz anders. Man wird in A geboren, zieht dann nach B, geht in C zur Schule, nach D zum Arbeiten und so weiter. Wir sind auf gewisse Art entwurzelt. Und wenn dann jemand kommt und sagt: Ich bau’ euch eine neue Heimat – dann sind viele offen dafür.
-Haben Sie auch mit Verfassungsschützern gesprochen?
Ja, wir haben auch beim Verfassungsschutz in München recherchiert. Das Interessante war, dass die Reichsbürger dort zu dem Zeitpunkt, als wir mit unserem „Tatort“ kamen, also vor zwei Jahren, noch gar nicht wirklich als Gefahr galten. Der Verfassungsschutz wusste natürlich davon, aber man ging damals noch nicht von einer akuten Bedrohung aus. Das ist inzwischen anders. Seit Herbst 2016 wird die Szene vom Verfassungsschutz beobachtet.
-Der Film spielt auf dem Land, im bayerischen Nirgendwo. Das ist kein Zufall, oder?
Nein, das ist kein Zufall. Bis vor ein paar Jahren waren die Reichsbürger vor allem im ländlichen Bereich aktiv. Und in eher bildungsfernen Gegenden. Inzwischen gibt es aber auch Reichsbürger in München und in Akademikerkreisen. Die Szene wird größer und größer.
-Haben Sie Zahlen? Wie viele Reichsbürger gibt es in Deutschland?
Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern kommen auf 18 000 Personen, die der Szene zuzurechnen sind. Etwa 950 würden als rechtsextrem eingestuft. Die größte Szene gibt es tatsächlich in Bayern. Etwa jeder vierte identifizierte Reichsbürger in Deutschland lebt hier im Freistaat.
Das Gespräch führte
Stefanie Thyssen.