Die Ekstase einer neuen Zeit

von Redaktion

Schauspieler Maximilian Brückner schmort als Augustinermönch 160 Minuten „Zwischen Himmel und Hölle“ (ZDF)

von Tim Slagman

Nur in wenigen Augenblicken zeigt sich Martin Luther als Verzweifelter, Suchender, noch seltener als Zaudernder: „Zwischen Himmel und Hölle“ (knapp drei Stunden) hat das ZDF sein opulentes Mosaik aus den Anfangstagen der Reformation genannt, das an diesem Montag ab 20.15 Uhr zu sehen ist. Getreu dem Titel badet der Film von Uwe Janson tatsächlich in Extremen.

Am 31. Oktober, dem 500. Jahrestag der Veröffentlichung der berühmten „95 Thesen“, strahlen die Mainzer noch ein formal ambitioniertes Doku-Drama aus („Das Luther-Tribunal“, ZDF, 20.15 Uhr). Doch am Vorabend brennt das Feuer der Leidenschaft heißer als sämtliche theologischen Debatten; die Ekstase einer neuen Zeit fegt in „Zwischen Himmel und Hölle“ jeden Zweifel hinweg.

Jedenfalls in den Köpfen und Herzen von Luther und seinen Mitstreitern Thomas Müntzer und Andreas Bodenstein, zu denen bald noch die geflohenen Nonnen Ottilie von Gersen und Katharina von Bora stoßen. Müntzer, dem Jan Krauter einen jugendlichen, revolutionären Furor verleiht, begegnet gleich zu Beginn im Kloster ein wahrhaft infernalischer Budenzauber. Ein hemmungslos chargierender Armin Rohde treibt als Vertreter der Inquisition bei den armen Sündern Ablassgelder ein, unterstützt von wild herbeigestikulierten Höllenbeschwörungen und Flammenstößen aus dem versteckten Blasebalg.

Und Luthers erstes Gebet gilt dem Erfolg beim Ballspiel, bei dem sich der Wittenberger Professor und Augustinermönch voller Kampfgeist in den Schlamm wirft. Auch wenn Maximilian Brückner, dem späteren Bruch Luthers mit Müntzer entsprechend, diesem stets etwas Kontrolliertes, beinahe Staatsmännisches mitgibt, so ist doch umgehend klar: Ein weltabgeneigter Geistesmensch zeigt sich hier genauso wenig, wie diese Szene eine trockene, sklavisch entlang der belegbaren Fakten schreitende Filmerzählung erwarten lässt.Im Zweifel entscheiden sich das Autorenteam (Stefan Dähnert und Marianne Wendt) und der Regisseur für den knalligen Effekt; gerne spitzen sie entlang volkstümlich bekannter Wegpfeiler der Reformationsgeschichte dramatisch zu – auch wenn deren Existenz teilweise umstritten ist. Nicht, weil sie es nicht besser wüssten; immerhin waren mehrere Historiker als Fachberater an der Produktion beteiligt. Sondern weil Geschichte sich in der selbstbewussten Behauptung packender erzählen lässt.

Und packend erzählt ist der Film in jedem Fall, was angesichts seiner ehrgeizigen Konzeption durchaus erstaunt: Aus zahlreichen Perspektiven, an unterschiedlichen Orten falten sich die Widersprüche innerhalb der Reformation und ihre Konflikte mit den zeitgenössischen Machthabern auf. Kurfürst Friedrich protegiert den unbekannten Augustiner Luther vor allem deshalb, weil dieser im sehr weltlichen Machtkampf mit dem Klerus anfangs günstiger zu haben war als Erasmus von Rotterdam.

Erzbischof Albrecht hingegen steht in Rom in der Kreide, weil das Geld nicht mehr so laut im (Ablass-)Kasten klingeln möchte. Über Luther wird die Reichsacht verhängt. Es folgen die Jahre auf der Wartburg, die Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Dann geht es um die „Freiheit des Christenmenschen“, die für Ottilie und Müntzer die Freiheit von jeglicher Unterdrückung ist, praktisch sozialrevolutionär. Luther hält die von ihnen angestachelten Bauernaufstände für barbarisch, die beiden ihren ehemaligen Wegbegleiter hingegen für einen Feigling mit dem Hang zu faulen Kompromissen. Auch Katharina von Bora verletzt die intellektuelle Eitelkeit Luthers.

Die Zeit vergeht, Schauplätze wechseln rasch, Menschen werden getrennt und finden wieder zueinander. Doch das Konstrukt hält. Ganz und gar nicht puritanisch bieder, sondern geradezu sinnlich erscheint hier diese Phase der Historie. Diese ist bei aller Ambivalenz vor allem aus einer ganz bestimmten Perspektive heraus erzählt: aus der heutigen. Was, wenn es keinen Glauben gäbe, fragt Ottilie ihren Thomas Müntzer, bevor er in die Schlacht zieht – die passende Frage zu einer letztlich materialistischen Aufarbeitung der Geschehnisse im Gewand eines veritablen Historienthrillers.

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