München – Gestern war es so weit: An seinem 30. Geburtstag haben Sebastian Rudy unzählige Glückwünsche erreicht, natürlich auch von den Ex-Kollegen aus München. An diesem Samstag, beim Gastspiel des FC Bayern (15.30 Uhr), will sich der Hoffenheimer Rekordspieler aber nicht bedanken. Im Gegenteil: Er hofft gegen seinen Ex-Club auf den Start einer Serie – wie in der Hinrunde nach dem Sieg in München.
Herr Rudy, das 3:0 des FC Bayern in London war beeindruckend für den kommenden Gegner, oder?
Die zweite Halbzeit war schon sehr, sehr stark. Da kommt ein Brocken auf uns zu – aber wir freuen uns darauf.
Wie halten Sie es mit Spielen gegen Ex-Clubs – mit besonders viel Vorfreude oder gar Nervosität?
Dieses Jahr geht es ja sogar drei Mal gegen die Bayern – aber ich finde es immer etwas Besonderes, gegen den Ex-Club zu spielen. Egal, ob es ein Jahr, drei oder gleich acht Jahre her ist. Trotzdem ist es unter dem Strich ein wichtiges Bundesliga-Spiel. Und ich bin zu 100 Prozent motiviert gegen die alten Kollegen.
Wie ist der Draht nach München?
Hier und da noch ganz gut – und mit Niklas Süle natürlich noch intensiver. Schade, dass er verletzt ist. Ich hätte gerne gegen ihn gespielt.
Sie und Süle waren in München ein echter Doppelpack. War das ein Vorteil – oder sogar ein bisschen nervig?
Ich habe das immer als Vorteil empfunden, mit jemandem zu wechseln, mit dem man schon fünf Jahre zusammengespielt hat. Das hat vor allem am Anfang vieles vereinfacht.
Passt er besser zu Bayern als Sie?
Dass sich die Wege auch wieder trennen können, ist gewissermaßen der Lauf der Dinge im Fußball. Für mich war es nach einem Jahr an der Zeit zu gehen, weil ich regelmäßig spielen wollte. Das war zu der Zeit nicht in dem Maße gegeben, wie ich es mir erwünscht hatte. Deswegen habe ich einen anderen Weg eingeschlagen.
. . .und sich nach einem Jahr auf Schalke wieder an Hoffenheim ausleihen lassen. Im Pokal gab es ein 2:3 in München. Was macht Mut, dass es diesmal anders läuft?
Wir waren in dieser Saison zwei Mal in München und haben zwei Mal gut ausgesehen. Im Pokal war die erste Halbzeit nicht gut, aber im Bundesliga-Hinspiel haben wir gewonnen und im Pokal eine starke zweite Halbzeit gespielt. Da wurde es noch mal eng. Die Münchner wissen, dass sie uns nicht unterschätzen dürfen. Diesmal wollen wir über 90 Minuten ein gutes Spiel abliefern, gerade vor unseren Fans zu Hause.
217 Spiele haben Sie für Hoffenheim gemacht, Sie sind seit vergangenem Wochenende Rekordspieler. Lebt es sich seitdem anders?
Das nicht, aber es ist schon schön, die meisten Spiele bei so einem tollen Club zu haben. Das ehrt mich. Und ich hoffe, es kommen noch ein paar drauf.
Der Münchner Rekordspieler Sepp Maier hat mehr als 600 Spiele gemacht.
Ich glaube, das schaffe ich nicht mehr ganz (lacht).
Bei Bayern wären Sie mit 217 Spielen 58. in der Ewigen-Liste.
Das macht die Bayern ja auch aus. Wenn man Thomas Müller sieht, wie lange der schon da ist – das finde ich cool. Auch Francesco Totti bei Rom, Steven Gerrard in Liverpool. Solche Persönlichkeiten machen den Fußball aus.
Wie wichtig ist Ihnen Vereinstreue?
Sehr wichtig. Aber klar, der Fußball ist manchmal schnelllebig, man kann nie alles vorausplanen, selbst wenn man das wollen würde. Im Moment bin ich ja auch nur ausgeliehen.
Ist Hoffenheim Ihre fußballerische Heimat?
Man kann es schon Zuhause nennen. Es ist mein achtes Jahr in dem Verein. Ich habe hier meine ersten richtigen Schritte im Profi-Geschäft gemacht. Nach zwei Jahren, in denen ich weg war, freue ich mich, wieder da zu sein – und eine bedeutende Rolle innezuhaben. Nicht nur, was die Zahl 217 angeht.
Es gibt eine relativ lange Liste an Spielern, die nach München kommen und schnell wieder gehen. Wie stehen Sie zu Ihrer Zeit beim FC Bayern – hat Sie Ihnen was gebracht?
Sehr viel sogar. Die Stimmen, die auf diese Liste verweisen, kommen ja immer nur von außerhalb. Da gebe ich nicht viel drauf. Ich habe sehr, sehr viel mitgenommen. Wenn man ein Jahr mit den besten Spielern zusammengespielt hat, wächst man. Ich habe mehr als 30 Einsätze gehabt, ich bin als Mensch und Persönlichkeit gereift. Das Jahr möchte ich nicht missen.
Warum hat es am Ende nicht gepasst?
Zum einen, weil ich regelmäßig spielen wollte. Und zum anderen, weil es immer auch wichtig ist, wie der Trainer zu einem steht. Man braucht das Vertrauen. Ich habe versucht, es mir zu erarbeiten, habe immer alles gegeben – aber irgendwann war der Punkt da, an dem ich gemerkt habe: Ich muss etwas anderes machen.
Aktuell werden Joshua Kimmich und Thiago als Doppelsechs hochgelobt.
Man hat es ja gegen Chelsea gesehen, wie gut sie Fußball spielen können. Aber ich will mich immer mit den Besten messen. Deshalb freue ich mich auch so aufs Wochenende. Da will auch ich zeigen, was ich kann.
Apropos zeigen, was man kann: Im Sommer steht die EM an. Trauen Sie Niklas Süle eine Teilnahme zu?
Zu 100 Prozent. Ich weiß, wie er sich fühlt, es läuft alles nach Plan. Er ist sehr motiviert, und wenn man ein großes Ziel vor Augen hat, hilft das ja meist noch mehr. Aber er weiß auch, dass er in der Bundesliga am Ende noch ein, zwei Spiele machen sollte, um auf Topniveau zu sein. Wichtig ist am Ende vor allem, wie er sich fühlt. Es bringt mit 95 Prozent nichts, er muss bei 100 Prozent sein. Das traue ich ihm zu 100 Prozent zu.
Warum wäre Süle so wichtig?
Weil er ein Leader ist und ein fantastischer Fußballer. Einen mit solchen Voraussetzungen, mit so einer Ruhe, so einer Gelassenheit im Team zu haben, ist wahnsinnig positiv.
Trauen Sie sich selbst auch die EM zu?
Definitiv, das ist mein Ziel! Ich war bei den letzten beiden Länderspiel-Abstellungen dabei, und wenn man daran schnuppert, will man am Ende auch am Start sein. Ich versuche, in jedem einzelnen Spiel meine Top-Leistung zu bringen, in jedem Training. Ich will auf mich aufmerksam machen.
Bei der EM 2016 wurden Sie kurz vorher aussortiert. Ist man da ein gebranntes Kind?
Das ist auch eine Erfahrung, die einen stärker macht. Und im nächsten Anlauf hat es ja funktioniert. Klar, die WM war jetzt nicht berauschend von uns, auch nicht für mich mit der Verletzung. Aber es gibt ja jetzt eine neue Chance – und die versuche ich zu ergreifen.
Ist man mit 30 im Kader von Joachim Löw ein echtes Vorbild?
Viele ältere Spieler gibt es ja nicht mehr (lacht). Beim letzten Mal war ich der Drittälteste. Das ist komisch, daran muss man sich auch erst mal gewöhnen. Weil man sich ja lange genug an den Älteren orientiert hat und nun in einer neuen Rolle ist.
Wie sehen Sie die Situation um eine mögliche Rückkehr von Thomas Müller und Mats Hummels?
Das sind überragende Fußballer, auch Jerome Boateng. Sie bringen alle drei derzeit sehr starke Leistungen. Aber es ist eine Entscheidung vom Bundestrainer, der einen Umbruch einleiten wollte. Das muss man akzeptieren. Allerdings: Wenn ich einer von den dreien wäre, würde ich es genauso machen. Reinhauen, Leistung zeigen und für sich sprechen lassen. Dann wird man sehen.
Tut die 30 eigentlich weh?
Überhaupt nicht, ich habe mich sogar darauf gefreut.
Da halten es Männer womöglich anders als Frauen.
Das denke ich auch. Meine Frau wird in zwei Monaten auch 30, die sieht das etwas anders (lacht).
Ein Sieg gegen die Bayern wäre ein guter Start ins neue Lebens-Jahrzehnt, oder?
Auf jeden Fall. In der Hinrunde war der Sieg in München vor allem der Startschuss für unsere Siegesserie. Das darf gerne wieder so sein.
Interview: Hanna Raif