Joachim Löw ist dafür bekannt, dass er in seinen Personalplanungen ungefähr so kompromissbereit ist wie Donald Trump im Umgang mit mexikanischen Einwanderern. Gestützt auf große Erfolge, darunter der WM-Titel 2014, pflegt der Fußball-Bundestrainer die Attitüde des einsamen und eiskalten Entscheiders. Wobei der bald 60-Jährige – nebenbei gesagt – nichts dagegen hat, wenn der Eindruck entsteht, dass Siege seinen Stempel tragen. Löw jedenfalls, so viel ist sicher, wird sich nicht im Geringsten davon beeindrucken lassen, dass erst Karl-Heinz Rummenigge und nun auch Stefan Effenberg ein Comeback von Thomas Müller in der DFB-Elf fordern.
Fest steht, dass die Münchner Offensivkraft im vergangenen Frühjahr äußerst uncharmant abserviert wurde. Wie diese Saison zeigt, offenbarte Löw aber auch in sportlicher Hinsicht wenig Fingerspitzengefühl. Zwar hatte Müller vor einem Jahr einen kleinen Durchhänger. Doch welcher Spitzenspieler hat das nicht? Löw hätte also damals dem Münchner zu verstehen geben können: Derzeit sind andere besser, also versuche ich es mit denen. Müller hätte sich dem Leistungsprinzip mit Sicherheit gebeugt. Völlig unnötig bzw. ein Fehler aber war, dem nun 30-Jährigen die Tür zur Nationalmannschaft für immer zu versperren.
Sicher, Löw versuchte nach der katastrophal verlaufenen WM in Russland einen Neuanfang. Der war unumgänglich. Und ist von der ganzen Fußball-Nation gefordert worden. Der Bundestrainer befand sich unter Zugzwang. Und der von ihm eingeleitete Umbruch ließ sich im zurückliegenden Jahr tatsächlich einigermaßen vielversprechend an. Doch bedeutet dies längst nicht, dass Müller dieser positiven Entwicklung im Wege gestanden hätte. Im Gegenteil: Die Routine des kämpferischen Teamplayers könnte durchaus nützlich sein im internationalen Wettstreit. Zumal bei einem großen Turnier wie der anstehenden EM.
In dieser Saison hat Müller allerhand Argumente für sich gesammelt. Mit zwölf Torvorlagen befindet er sich unter den Top 10 in Europa. Beim FC Bayern hat er sich trotz schwieriger Umstände (Trainer Niko Kovac) und harter Konkurrenz durchgesetzt. In der Bundesliga ist er drittbester deutscher Scorer. Damit qualifiziert man sich normalerweise für die Nationalmannschaft. Wäre da nicht Löws Ego: Es wird stärker sein als das Leistungsprinzip.
Armin.Gibis@ovb.net