Bestes Tennis

von Redaktion

AUSTRALIAN OPEN Ein starker Zverev unterliegt noch stärkerem Thiem

VON DORIS HENKEL

Melbourne – Es war ein Ende wie aus dem Lehrbuch. Zweimal traf Dominic Thiem fast dieselbe Stelle des blauen Platzes, der Druck nahm zu, und dann platzierte er mit aller Finesse einen feinen Volleystopp. Es war der Schlag zum Sieg in vier Sätzen gegen Alexander Zverev (3:6, 6:4, 7:6, 7:6), und er hatte dieses Spiel verdient gewonnen, weil er in den entscheidenden Momenten mutiger und aggressiver gespielt hatte. Doch auch für Zverev gab es nach der Premiere im Halbfinale positive Erkenntnisse. „Ich habe gutes Tennis gespielt“, fand er, „und seit der dritten Runde habe ich mich selbst gefunden auf dem Platz.“ Und dass er nach dieser Selbstfindung ein gefährlicherer Gegner als je zuvor sein wird, ist ziemlich wahrscheinlich.

Es war ein bewegter Abend in der Rod Laver Arena, von Anfang bis Ende. Nach den ersten drei Spielen fielen ein paar Tropfen Regen, das Dach wurde geschlossen, und der Rest fand in der Halle statt. Mitte des ersten Satzes wirkte der Österreicher ein wenig müde; man konnte sich fragen, ob es vielleicht eine Rolle spielen würde, dass er auf dem Weg in dieses Halbfinale mehr als vier Stunden länger unterwegs gewesen war als Zverev, in erster Linie wegen der langen Partie im Viertelfinale gegen Rafael Nadal.

Der Plot des ersten Satzes wurde zu Beginn des zweiten umgehend umgeschrieben. Thiem ging schnell mit einem Break in Führung und stellte die Weiche zum Gewinn dieses zweiten Durchgangs mit einem weiteren 20 Minuten später. 1:1 nach Sätzen, also alles wieder von vorn, dann gingen allerdings erst mal Lichter auf einer Seite aus. Es dauerte zehn Minuten, bis die Sache repariert war, um keine Unruhe aufkommen zu lassen, legte der Discjockey wieder mal Neil Diamonds Gassenhauer „Sweet Caroline“ auf, und Caroline lockerte die Hüften des Österreichers. Thiem schaffte es wieder, Zverev den Aufschlag abzunehmen, obwohl der an diesem Abend wie schon während des gesamten Turniers extrem stark servierte und über 80 Prozent seiner ersten Aufschläge ins Feld brachte.

Zverev glich Mitte des Satzes aus, und beim Stand von 5:4 hatte er die große Chance mit zwei Breakbällen, den Satz zu gewinnen. Doch beide wehrte Thiem mit grandiosen Schüssen ab, einmal mit der Vorhand, einmal mit der Rückhand; es war rückblickend betrachtet eine der wichtigsten Phasen der Partie. Starker Aufschlag schön und gut, meinte Zverev hinterher, aber er habe 14 Breakbälle gehabt, und das sollte eigentlich genug sein. „In den entscheidenden Momenten hab ich einfach nicht mein Bestes gespielt, er dagegen schon. Das war die Stelle, an der das Spiel irgendwie seinen Weg genommen hat.“ Mit einem zuckersüßen Halbvolleystopp ging Dominic Thiem im Tiebreak früh in Führung, er hielt sie bis zum Ende.

Und was sich schon in den ersten drei Sätzen gezeigt hatte, das sah man auch im vierten: Obwohl Zverev mit seinen Aufschlagspielen starke Akzente setzte – Thiem sagte, es sei fast unmöglich gewesen, den zu brechen –, war es in den Grundlinien-Duellen nicht zu übersehen, dass der Österreicher die besseren, unberechenbareren Variationen hat. Die von vielen bewunderte Rückhand als Slice, als Topspin mit extrem viel Drall oder wie seit einiger Zeit öfter mit etwas weniger Drall und dafür mit mehr Karacho gespielt, kombiniert mit der mindestens so gefährlichen Vorhand. Wieder landeten sie im Tiebreak, und ausgerechnet in diesen Momenten leistete sich Zverev einen seiner insgesamt nur drei Doppelfehler – der Ball flog weit über die Aufschlaglinie hinaus, fast so weit wie ein Schmetterball wenig später, und aus dieser Grube kam er trotz allen Bemühens nicht mehr heraus. Den ersten Matchball des Österreichers wehrte er mit seinem 16. Ass der Partie ab, doch beim zweiten packte Thiem noch mal eine Lieblingskombination aus.

Nach drei Stunden und 42 Minuten endete Alexander Zverevs erstes Halbfinale in Melbourne, aber die Frage, was in ein paar Tagen von alldem übrig bleiben werde, beantwortete er mit einer Einschätzung, die er schon oft vorgetragen hatte. In ein paar Tagen werde er das Turnier vergessen haben, sowohl die guten als auch die schlechten Dinge, werde wieder beim Training sein und alles dafür tun, die nächsten Turniere zu gewinnen.

Und wer nun das letzte Spiel der Australian Open 2020 gewinnen wird? Novak Djokovic, der seinen achten Titel gewinnen will, oder vielleicht doch Dominic Thiem? Zverev glaubt, der gute Freund aus Österreich habe eine Chance. „Er spielt das beste Tennis seines Lebens, und ich glaube, dass das gut genug ist; ich wünsche ihm nur das Beste.“

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