Die grundsätzliche Frage, wenn in der Nacht Sport übertragen wird, den man sehen will, lautet ja immer: Aufbleiben und durchhalten – oder erst mal sich hinlegen und aufstehen, wenn es so weit ist? Mal ist die Nacht die Verlängerung des Abends, mal ein vorgezogener Morgen.
Im Haus von Rick Goldmann verband sich in den frühen Stunden des 25. Februar 2018 beides. Der frühere Eishockey-Nationalspieler, der eine zweite Karriere als TV-Experte eingeschlagen hatte, wollte natürlich das Olympia-Finale mit der deutschen Mannschaft live sehen; es schmerzte ihn ja schon, dass er nicht in Südkorea sein konnte, weil Sport1, sein Sender, keine Rechte hatte. Er lud sich Freunde ein, denn keinesfalls wollte er diesen Moment alleine erleben.
Spielbeginn war 5.30 Uhr Mitteleuropäischer Zeit. Der Hausherr Goldmann setzte den Zeitpunkt der Zusammenkunft auf 4.30 Uhr fest. Er selbst ging am Abend zu Bett und stand sakrisch früh auf, um für seine Gäste ein Weißwurstfrühstück vorzubereiten. Die Kollegen kamen dann mit einem Kasten Weißbier. „Einige direkt aus der Stadt, sie hatten durchgemacht und sich in Rage gefeiert, in dieser Nacht von Samstag auf Sonntag“, schreibt Goldmann in seinem kürzlich erschienenen Buch „Eiszeit“. „Wir tranken also um 4.30 Uhr Weißbier und waren euphorisch.“
Das olympische Eishockey-Finale von 2018, in das die Deutschen wider jede Prognose geraten waren, wird häufig genannt, wenn man die Leute fragt: Gibt es sportliche Ereignisse, die nicht in unserer Zeitzone stattfanden, sondern dann, wenn bei uns Nacht war, und für die ihr aufgestanden seid? Meist hört man dann ja: „Für die Kämpfe mit Muhammad Ali bin ich noch aufgestanden, doch heute ist mir mein Schlaf wichtiger.“ Vernunft und Müdigkeit schlagen also das Interesse und den Ehrgeiz, einmal etwas Ungewöhnliches zu machen, die Abläufe zu verändern?
Im Grunde ist die nächtliche Stunde ein Quotenkiller. Beispiel Eishockey: Das Halbfinale des Olympia-Turniers vor zwei Jahren verfolgten in Deutschland 5,72 Millionen TV-Zuschauer, das Endspiel 3,5 Millionen. Das Halbfinale hatte auch keine günstige Zeit: Freitag, 13 Uhr. Aber eben immer noch eher eine Fernsehzeit als Sonntag, 5.30 Uhr. Die 5,7 Millionen entsprachen einem Marktanteil von 36,7 Prozent, die 3,5 Millionen reichten für 59 Prozent. Allerdings muss man sich wundern: Was gäbe es um diese Stunde sonst anzuschauen? Aber die restlichen 41 Prozent müssen schließlich was eingeschaltet haben.
Beim Eishockey-Finale war wenigstens klar, wann es beginnt. Bei den Box-Übertragungen bleibt das eher im Vagen. Wem ist es nicht schon passiert, dass er sich um 4.30 Uhr vors TV-Gerät mühte, wenn es hieß, dass der Kampf „ab 4.30 Uhr“ stattfindet? Freilich ist ja auch 6.45 Uhr noch „ab 4.30 Uhr“. Im schlechtesten Fall muss der Zuschauer sich durch ein uninteressantes Vorprogramm quälen und ausufernde Vorberichterstattung erdulden.
Manche haben auch das Pech, dass sie einkalkulieren, dass es nicht gleich mit dem Kampf losgeht, stehen später auf – und erwischen gerade noch die Siegerehrung. Ist einigen bei Blitz-K.o.’s von Mike Tyson oder den Klitschko-Brüdern sowie dem Mixed-Martial-Arts Star Conor McGregor passiert.
Aber: Es hat halt etwas Heldenhaftes, wenn man erzählen kann, einem Ereignis, über das in den Stunden des folgenden Tages dann alle reden, live beigewohnt zu haben und nicht nur aus der Konserve versorgt worden zu sein. Und so werden am kommenden Montag auch unausgeschlafene Gesichter nicht dezent verborgen. Sie sind der Beweis: Ich habe es getan, ich haben den Super Bowl gesehen. Das kann man zu Hause getan haben oder auf einer Party – seit Jahren gibt es Public Viewing der Endspiele im American Football. 2019 wurden in Deutschlands Privathaushalten 1,42 Millionen Zuseher gemessen.
Die Deutschen sind, was Sport schauen betrifft, durchaus zur Nachtaktivität bereit. Denn das hat unsere Twitter-Umfrage (siehe Kasten) gezeigt: Es gibt eine nicht nur von Muhammad Ali bestimmte Geschichte des nächtlichen Einschaltens, auch Tennis und Olympische Spiele haben viele Anlässe geboten. Und immer wieder hat man außergewöhnliche Persönlichkeiten wie Michael Schumacher oder Dirk Nowitzki begleiten wollen, wenn sie auf einem anderen Erdteil nach Titeln strebten.
Als Muhammad Ali boxte, war das Sportangebot im Fernsehen noch überschaubar. Nachts kam damals das Testbild. Heute sendet jeder Kanal 24/7. Und durch die Spartensender und die Streaming-Plattformen ist immer irgendwo auf dem Erdball etwas los. Jedes „special inter-est“ wird von einer modernen Medienwelt bedient. Nachts brennt in Deutschland so manches Licht. Für den Sport.