„Klimaneutraler Wintersport ist nicht machbar“

von Redaktion

Engelbert Schweiger, Schneemacher von Ruhpolding, über seine Arbeit, Probleme und Kritik

Ruhpolding – Engelbert Schweiger, 52, hat als Leiter der Chiemgau Arena ein ganz besonderes Gefühl für Schnee. Seit eineinhalb Jahrzehnten ist er mitverantwortlich dafür, dass in der Chiemgau Arena eine Art Schneevorratswirtschaft betrieben wird. In dem von ihm organisierten Depot lagert sozusagen der Schnee von gestern, um damit für die Biathleten die Schneepisten von morgen zu präparieren. Wir unterhielten uns mit Schweiger über seine Schneefabrik, die sich gerade in Zeiten des Klimawandels vor besondere Herausforderungen und auch Diskussionen gestellt sieht.

Herr Schweiger, in und um Ruhpolding liegt derzeit fast kein Schnee, es scheint eine grüne Biathlon-Woche zu werden. Die Piste in der Chiemgau Arena präsentiert sich dennoch in Weltcup-tauglicher Verfassung. Wie geht das?

Ich möchte da an 2016 erinnern, als wir auch ganz wenig Schnee und trotzdem sogar den Weltcup von Oberhof übernommen hatten. So gesehen ist die aktuelle Situation nichts Neues. Wir hatten diesmal das große Glück, dass wir zum Jahreswechsel noch einmal kalte Temperaturen bekommen haben. Somit konnten wir noch ausreichend beschneien.

Sie lagern Ihre größtenteils selbst produzierten Schneereserven ja den ganzen Sommer über. Wie hat man sich das vorzustellen?

Wir haben ein Schneedepot von maximal 15 000 Kubikmetern. Das befindet sich im westlichen Teil des Stadions. Da ist ein wirklich schattiger Platz, wo die Sonne kaum hinkommt. Der heißt Schneewinkl. So hieß er schon ganz früher. Da ist es immer schon kühler gewesen als anderswo. Dort also ist eine Art Silo mit Ausmaßen von 45 mal 45 Metern Grundfläche und fünf Metern Höhe. Das Schneedepot wird dann Ende April, Anfang Mai mit einer Plastikplane abgedeckt und mit Styropor zusätzlich isoliert. Da muss man schauen, dass die Verklebungen passen. Das Schlimmste für ein Schneedepot ist nämlich Wassereintritt. Das Wasser würde alles auffressen. Der Verlust im Sommer beträgt normalerweise 20 bis 25 Prozent, in diesem Jahr sind uns 9000 bis 10 000 Kubikmeter übrig geblieben. Die Verluste waren dieses Mal größer, weil wir mehr Naturschnee aus dem schneereichen letzten Winter hatten; es stellte sich nun heraus, dass der Naturschnee im Depot den Kunstschnee angegriffen hat.

Wann kommt dann der gehortete Schnee zum Einsatz?

Im November schaut man sich dann den Wetterbericht an, um zu sehen, wann der beste Zeitpunkt für die Beschneiung der Piste ist. Denn bevor die Schneekanonen zum Einsatz kommen, muss der Schnee aus dem Depot bereits auf den Kurs verfrachtet sein. Wir wollen damit das Training absichern. Das ist der Hauptgrund, warum wir die Loipen relativ früh präparieren. Denn wenn die Mannschaften im November vom Training aus Skandinavien zurückkehren, können sie in der letzten Phase der Vorbereitung in Ruhpolding noch den letzten Feinschliff für den Weltcup-Start vornehmen.

Wann kann es bei dieser Art von Snowfarming zu Problemen kommen?

Kritisch wird es, wenn wir keine Beschneiungstemperaturen mehr bekommen. Da geht es gar nicht um Schneefall. Wir brauchen im Winter mindestens durchgängig 100 Stunden mit im Durchschnitt fünf Grad minus. Wenn wir die nicht haben, wird es schwierig.

In Oberhof ist der Fall zuletzt ja eingetreten.

Leider.

Die Oberhofer Organisatoren mussten dann Schnee aus Gelsenkirchen antransportieren lassen. Das hat ein kritisches Echo in der Öffentlichkeit ausgelöst. Wie stehen Sie dazu?

Mir steht es grundsätzlich nicht zu, die Oberhofer Verhältnisse zu bewerten. Ich möchte dazu nur eines sagen: Auch die Oberhofer machen Schneeübersommerung mit Schneedepots. Aber sie haben einfach die Beschneiungstemperaturen nicht gehabt. Dabei wären sie rein von den notwendigen Maschinen her gut aufgestellt gewesen. In solch einem Fall muss man natürlich nach Lösungen suchen, wie man eine Weltcupveranstaltung sicherstellen kann. Was ein Ausfall eines Weltcups für die Region Oberhof bedeutet, haben wir ja 2016 erfahren. Das wünscht man sich nicht. Das ist der Worst Case für die Region.

Kernpunkt der Diskussion war ja, dass man sich an der Umweltverträglichkeit orientieren muss.

Es ist für mich eine doppelzüngige Debatte. Es ist doch auf der ganzen Welt so, dass in allen entsprechenden Wintersportarten jeder Weltcup auf Kunstschnee durchgeführt wird. Die Schneeproduktion ganz klimaneutral zu halten ist sehr, sehr schwierig – ja im Grunde nicht machbar. Wir in Ruhpolding haben bei der Schneeproduktion jedenfalls 100 Prozent Energiebereitstellung aus Wasserkraft. Wir haben im Genehmigungsverfahren für die Schneeherstellung alle Auflagen komplett erfüllt.

Macht sich Ruhpolding auf den Klimawandel gefasst, wie stellen Sie sich darauf ein?

Es ist unbestritten, dass die Bedingungen für die maschinelle Schnee-Erzeugung, speziell in unserer Höhenlage bei 710 Meter, immer schwieriger werden. Bei Höhen über 1000, 1200 Meter tut man sich viel leichter. Natürlich machen wir uns Gedanken. Es gibt ja auch in der jetzigen Beschneiungsanlage Möglichkeiten, das zu optimieren.

Zum Beispiel?

Es ist möglich, die Schneeerzeugung auf Schneetürme zu stellen, wo der Ertrag dann mehr wird. Ein wichtiger Faktor ist auch, die Wasserkühlung effizienter zu gestalten. Wir denken in diesem Zusammenhang auch schon an eine mögliche Biathlon-WM 2027 in Ruhpolding. Da sind die Überlegungen in puncto Beschneiung und ein zusätzliches Schneedepot schon sehr weit fortgeschritten.

Inwieweit macht sich die Klimaveränderung beim Snowfarming bereits bemerkbar?

Es ist definitiv so, dass die sogenannte durchschnittliche Feuchtkugeltemperatur – das ist der Maßstab einer Beschneiungsanlage – sich von 2010 bis 2020 um ein Grad verschlechtert hat. Und das macht enorm viel aus.

Ist die Klimadiskussion auch schon konkret in Ruhpolding angekommen? Etwa über Bürgerinitiativen oder Parteien?

Eigentlich weniger. Der Ort lebt seit 40 Jahren mit dem Biathlon-Weltcup. Das ist eine gewachsene Veranstaltung. Die Diskussion, ob man wegen des Klimas den Weltcup veranstalten soll oder nicht, hat man in unserem Ort jedenfalls nicht. Das kommt mehr von außen. Der Ruhpoldinger sieht den Biathlon-Weltcup als eine Veranstaltung, die einfach zu Ruhpolding gehört. Aber wir verschließen uns nicht. Wir nehmen das Ganze schon war. Hier gibt es schon Diskussion, aber nicht in der Härte wie anderswo.

Macht Wintersport ohne Naturschnee überhaupt noch Sinn?

Im Spitzensportbereich ist die Beschneiung schon lange präsent. Dort stellt sich die Frage nicht, da gibt es schon seit Jahrzehnten fast nur noch Kunstschnee.

Wie wird Biathlon in Ruhpolding im Jahr 2030 ausschauen?

Im Endeffekt wird sich nichts ändern. Wir werden mit Sicherheit auf den gleichen Strecken laufen, es wird mit Kleinkaliber geschossen werden – und wir werden auf Kunstschnee laufen. Da bin ich mir relativ sicher.

Auch wenn der Klimawandel weiter voranschreitet?

Es gibt inzwischen technische Möglichkeiten, dass man nur noch eine Beschneiungszeit von 40 Stunden mit einer Temperatur von mindestens minus drei Grad benötigt. Wenn es allerdings nicht mehr kälter werden sollte als minus drei Grad, dann wird es wirklich schwierig. Aber ich glaube nicht, dass es in Zukunft keine Winter mehr gibt, in denen gar keine Schneeproduktion mehr möglich sein wird.

Interview: Armin Gibis

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