von Redaktion

VON GÜNTER KLEIN

Der spektakulärste Transfer dieses Winters erfolgte von Österreich nach Deutschland – und er machte die Anhänger gleich zweier Bundesligavereine glücklich. Die von Borussia Dortmund, das den begehrten norwegischen Stürmer Erling Haaland für sich gewinnen konnte – und die Fans von RB Leipzig, weil ihr Club den 19-Jährigen, der perfekt ins Beuteschema gepasst hätte, nicht bekamen. Aber: Sie haben nun ein Argument in der Hand, das sie anführen können, wenn es wieder in die üblichen Diskussionen um ihren Verein geht.

Haaland nämlich hatte bei Red Bull Salzburg gespielt, und in der Vergangenheit war der Weg für ein solches Talent vorgezeichnet. Nächste Station: Leipzig, das größere und wichtigere Unternehmen im Sportmarketing-Portfolio des österreichischen Brausebrauers. Selbstverständlich wollten auch die ostdeutschen Rasenballsportler den jungen Torjäger haben. Wer weiß schon, wie lange ihnen ihr Knipser Timo Werner wirklich erhalten bleiben wird?

Dass Haaland sich für Dortmund entschied, würde nun aber aufzeigen, so RB-Fans bei Diskussionen in den sozialen Medien, dass es keinen Wechsel-Automatismus zwischen Salzburg und Leipzig mehr gebe. Die Beispiele 2019, die das bestätigen: Von fünf begehrten Salzburgern folgte lediglich Hannes Wolf dem Ruf nach Leipzig. Indes zog es Xaver Schlager nach Wolfsburg, Stefan Lainer zu Borussia Mönchengladbach, Diadie Samassekou landete bei der TSG Hoffenheim und Wunderstürmer Haaland in Dortmund.

Wenn nun sogar ein (aus Leipziger Sicht) nicht realisierter Transfer gefeiert wird, zeigt das: Wechsel im Fußball sind ein hochemotionales Geschäft.

Das bekommt gerade auch Alexander Nübel zu spüren. Der U 21-Nationaltorwart von Schalke 04 will ab Sommer 2020 für den FC Bayern spielen. Für ihn der logische nächste Schritt in seiner Karriere, der mittelfristig zum Erbe von Manuel Neuer (auch in der A-Nationalmannschaft) führen soll. Der Wechsel ist auch das Ergebnis pekuniärer Überlegungen: Am Ende der Saison wird Nübel ablösefrei sein und sich das von seinem neuen Verein mit einem schönen Bonus vergüten lassen.

Für die Sympathisanten von Schalke 04 ist der Wechsel nur schwer nachvollziehbar: Nübel, so sagen sie, werde in München auf der Bank sitzen, auf Schalke würde er immer spielen. Er ist Kapitän, stehe daher in besonderer Verantwortung und könne ruhig auch Dankbarkeit zeigen für die Ausbildung, die er über vier Jahre lang in Gelsenkirchen bekommen hat. Dass er trotz allem lieber zu den Bayern geht – Verrat! Er habe sich kaufen lassen. So wird es interpretiert. Die Fans sind so aufgebracht, dass es schwer vorstellbar erscheint, dass im verbleibenden halben Jahr Nübel noch aufgestellt wird.

Es ist das zweite Mal, dass solch ein Dolch sich in die Schalker Seele bohrt. Vor acht Jahren wechselte Manuel Neuer zum FC Bayern. Es war eine noch kompliziertere Geschichte. Weil Neuer als Junge sich der Schalker Ultraszene zugerechnet hatte, wurde er in der Münchner Kurve abgelehnt („Koan Neuer“) – und bei seinen einstigen Kumpeln war er dann als Bayern-Profi unten durch. Sie hatten gehofft, dass er, wenn er schon glaube, wechseln zu müssen, sich Manchester United anschließen würde.

Es ist eigentlich paradox: Langjährige und tiefe Bindung erschwert es einem Spieler, sich beruflich zu verändern. Da braucht man nur zwei Fälle von Wechseln von Dortmund nach München zu analysieren.

Mario Götze wurde beim BVB zur Unperson, weil er sich 2013 von den Bayern hatte umgarnen lassen. Klar, seine Familie stammte aus dem Süden der Republik, doch sie war im Westen sesshaft geworden und Mario in den Vereinsstrukturen aufgewachsen. Die Bayern nennt man bei anderen Clubs eh gerne „Buyern“, weil sie sich ihre Mannschaften zusammenkaufen (to buy). Als Götze zum ersten Mal im roten Outfit im Westfalenstadion aufkreuzte, musste er sich vor seiner Einwechslung im Spielertunnel warmlaufen. Vor den aufgebrachten Dortmunder Zuschauern wäre das nicht möglich gewesen.

Viel gelassener reagierte man in BVB-Kreisen, als Robert Lewandowski Dortmund in Richtung München verließ. Der Wechsel wurde als unausweichlich betrachtet, mit dem Polen sah sich der Anhang in einer ohnehin limitierten Geschäftsbeziehung. Der Vertrag endete 2014, und bis dahin hatte der Stürmer verlässlich geliefert.

Problematisch wird es immer, wenn ein Spieler von einem sehr großen Verein zum rivalisierenden anderen großen Verein wechselt. So wie es bei Luis Figo war. Der Portugiese, der um die Jahrtausendwende als bester Fußballer der Welt galt, verabschiedete sich nach fünf Jahren beim FC Barcelona zu Real Madrid, 2000 war das. Barca kassierte die Rekordsumme von 60 Millionen Euro, es war ein guter Deal. Doch die katalanischen Fans waren gekränkt, und das ließen sie ihren einst angehimmelten Star bei jedem Spiel spüren, das er mit Real im Camp Nou zu bestreiten hatte. Einmal flog ihm sogar ein abgeschnittener Schweinskopf vor die Füße.

Bernd Schuster, der Deutsche, hatte sogar die Abgebrühtheit, nicht nur für Barcelona und Real, sondern auch noch für Atletico Madrid zu spielen. Wenn man bedenkt, welche wochenlange Aufregung es gab, als Antoine Griezmann im Sommer 2019 den Weg von Atletico nach Barcelona ging. In den Dokumenten der „FootballLeaks“ wurden sogar Pläne enthüllt, wonach Real Madrid daran arbeitete, dem FC Barcelona Lionel Messi auszuspannen – zu einem Sondierungstreffen der Königlichen mit dem Management des Weltstars, der als wachstumsgestörtes Kind aus Argentinien in die Talentschmiede La Masia gekommen war, kam es tatsächlich. Doch die Messi-nach-Madrid-Idee war zu vermessen..

Innerhalb Spaniens könnte Messi wohl nicht wechseln. Er müsste in einem anderen Land weiterspielen – so wie Cristiano Ronaldo das handhabt. Manchester United, Real Madrid, Juventus Turin – „CR7“ bespielt Märkte, die sich allenfalls mal in der Champions League überschneiden. Clever. Wenn er einen Club verlässt, dann verläuft die Trennung ohne Wut. Und die Marke Ronaldo bleibt unbeschädigt.

Auch bei Raúl war es so. Real Madrids Vereinsikone wollte noch ein bisschen kicken, als die Karriere sich dem Ende zuneigte – er tat es dann (2010) auf Schalke, in Katar und den USA. Die Prägung durch Real ist so stark wie in Deutschland die durch den FC Bayern.

Eigentlich hat es nur Claudio Pizarro geschafft, in München und noch an einem anderen Standort vorbehaltlos geliebt zu werden. Der Peruaner genießt allerdings den Bonus, dass er über die Haltbarkeit seiner Karriere wahrgenommen wird. Und mit Werder Bremen, das am Anfang, in der Mitte und am Schluss seines Weges in Deutschland steht, hat er einen Hauptverein, von dem aus allenfalls ein Wechsel zum Hamburger SV unmöglich wäre (wobei der Pizarro mal vom FC Bayern holen wollte).

Beim HSV kickt derzeit Bakery Jatta. Um den 21-jährigen Gambier hatte es wochenlang Spekulationen gegeben: Ist der als Flüchtling nach Deutschland gekommene Spieler der, für den er sich ausgibt? Stimmt seine Identität? Clubs, die gegen den HSV und Jatta Punkte in der 2. Liga verloren, legten Protest gegen die Wertung ein. Der HSV stellte sich bedingunglos hinter Jatta, und dem wurde, wie er sagte, ganz warm ums Herz. Er hatte eine Heimat gefunden.

Jedoch, kann der Hamburger SV ewig Heimat sein? Er ist ein Arbeitgeber mit hoher Fluktuation, und weil er seit Langem hinter den Erwartungen zurückbleibt, werden seine wenigen guten Spieler eben abgeworben.

Das könnte auch bei Jatta passieren. Werder Bremen soll schon mal interessiert gewesen sein, nach seiner Flucht lebte er in der anderen Hansestadt. Irgendwann wird ein Wechsel kommen. Er könnte heikel werden.

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