Nach der Siegerehrung ist Karl Geiger beim Neujahrsspringen dem Goldenen Adler noch einmal ganz nahe gekommen. Die Organisatoren hatten die Trophäe für den Tourneegesamtsieger fast schon aufreizend vor dem Podest für die Pressekonferenz platziert. Der deutsche Vorflieger musterte den Vogel – und winkte dann doch ab. Die Gesamtwertung sei noch weit weg. Was ihn interessiere, so ließ er die Öffentlichkeit wissen, das sei der nächste Sprung – die heutige Qualifikation am Innsbrucker Bergisel. Bei sich bleiben, keine falsche Ablenkung zulassen. Das ist bei den Skispringern ja kein ganz neuer Reflex. Auch Sven Hannawald war ihm einst mit Hingabe gefolgt. „Ich mach’ mein Zeug“, hatte der 2001/02 neun Tage lang in die Notizblöcke diktiert. Was herauskam, ist bekannt.
Und je weiter diese 68. Vierschanzentournee nun fortschreitet, desto deutlicher werden die Anzeichen, dass sich Karl Geiger vielleicht tatsächlich in ähnlichen Bahnen wie der bislang letzte deutsche Gesamtsieger bewegt. Auf der Schanze besticht der Tournee-Zweite mit einer bemerkenswerten Konstanz. Ob mit Rückenwind so wie im ersten Durchgang in Partenkirchen oder eben mit einem gnädigen Luftpolster wie im zweiten – Geiger setzt bei diesem Turnier mit seinen Gegenspielern Ryoyu Kobayashi und Dawid Kubacki Maßstäbe.
Und abseits der Anlagen? Beeindruckte der Mann bei seinen beiden Heimspielen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen mit jener Mischung aus Konzentriertheit und Lockerheit, die ein Champion braucht. Was für ein Unterschied zum vergangenen Jahr, als Geiger gleich beim Auftakt an dem Umstand zerbrach, plötzlich eine Tournee-Hoffnung zu sein. Als Sieger von Engelberg stürzte er in Oberstdorf auf Platz zwölf ab. Am Ende war er Gesamt-Elfter – gehobenes Mittelmaß. Erfahrungen, die dem Mann mit dem Faible fürs Gleitschirmfliegen nun weiterhelfen. Geiger kann nun umgehen mit dem Gedanken, einer der Besten zu sein.
Doch nicht nur Geiger, die ganze Mannschaft hat bewiesen, dass sie da sein kann, wenn es wirklich wichtig wird. Im Sog der Nummer eins präsentierten sich die deutschen Adler in der ersten Tournee-Halbzeit wieder als schlagkräftige Einheit. Drei Mann in den Top-10 am Neujahrstag. Fünf Athleten unter den ersten 15 des Turniers – das ist eine Bilanz, von der etwa der zuvor so dominante Co-Gastgeber Österreich vor den Wettbewerben in Innsbruck und Bischofshofen nur träumen kann. So wie auch vom Goldenen Adler. So nahe man ihm in Partenkirchen auch gekommen war.
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