München – Gestern Morgen durfte sich der Überflieger mal etwas gönnen. Wenigstens bis neun Uhr durfte Karl Geiger im urigen Teamquartier im Örtchen Lans in den Federn bleiben. Nur langsam herangehen an diesen letzten Ruhetag der 68. Vierschanzentournee. Haushalten mit den Kräften, die man am Wochenende der Entscheidung so dringend brauchen kann.
Zum Beispiel heute, wenn mit der Qualifikation am Innsbrucker Bergisel (14.00 Uhr/ZDF und Eurosport) die zweite Tournee-Halbzeit beginnt. An den Auftritten am Berg der Tiroler scheiden sich für gewöhnlich ja die Geister. In Innsbruck kann man die Tournee nicht gewinnen, sagen Experten mit Blick auf die vergleichsweise kleinen Dimensionen der Schanze.
Das mag so stimmen – verlieren aber kann man das Turnier am Bergisel wohl. Wenn ein Team das genau weiß, dann ist es das deutsche. Markus Eisenbichler etwa war im Vorjahr nach Platz zehn seine Chancen im Duell mit Ryoyu Kobayashi los. Ein Jahr zuvor krachte Richard Freitag in den Schnee und nahm als 30. Abschied aus dem Zweikampf mit dem Polen Kamil Stoch.
Für Eisenbichler hat das auch mit den speziellen Eigenheiten am Bergisel zu tun. „In den letzten Jahren waren die Bedingungen mit dem Föhn ein bisschen blöd“, sagte der Siegsdorfer, „bei der WM waren es dann Traumbedingungen und da haben wir Deutschen bewiesen, dass wir dort auch ganz gut springen können.“ In der Tat: Im Teamwettbewerb der Weltmeisterschaften in Tirol siegten die DSV-Adler mit Rekordvorsprung, im Einzelwettbewerb gab es Gold und Silber für Eisenbichler und Geiger. „Das war ein wahnsinniges Wochenende“, sagte der Oberstdorfer, „aber ich habe dort auch schon zähe Wettkämpfe gehabt.“ In der Tat: Als Eisenbichler ein paar Wochen vor der WM seine Tourneechancen verspielte, war Zimmerkumpel Geiger als 24. ein Leidensgenosse.
Dass ihm Ähnliches nun wieder widerfahren könnte, kann sich indes auch Bundestrainer Stefan Horngacher nicht vorstellen. „Was der Karl momentan macht, ist außergewöhnlich“, sagte der Österreicher, „wenn er das zeigt, dann ist es ziemlich egal, auf welcher Schanze er antritt.“ Zumal sich Geiger in Partenkirchen auch selbst davon überzeugte, dass er seinen größten Widersacher Ryoyu Kobayashi bezwingen kann. Bis auf gut sechs Punkte, umgerechnet 3,5 Meter also, schob er sich beim Neujahrsspringen an den Japaner heran. Dass es noch nicht zum ersten Tagessieg bei der Tournee reichte – für Eisenbichler geschenkt. „Wenn der Karl vier Mal Zweiter wird und dann die Tournee gewinnt, dann ist das voll in Ordnung“, sagte der Siegsdorfer.
Damit der nötige Fokus aufs Wesentliche erhalten bleibt, hält Horngacher vor der Tournee-Entscheidung auch ganz bewusst allen Trubel von seinem in sich ruhenden Hoffnungsträger fern. Die Pressetermine am gestrigen Ruhetag bestritt er selbst. Für Geiger und Kollegen stand nur ein bisschen Krafttraining am Nachmittag an. Ansonsten stand vor allem Ausspannen vor dem Panorama der Innsbrucker Bergwelt auf dem Programm. In jenem mehrere hundert Jahre alten Gasthof in der 1000-Seelen-Gemeinde, in dem die Athleten des Deutschen Skiverbands bei ihren Einsätzen in Tirol gerne absteigen.
Ein Umfeld, das Karl Geiger wie für sich gemacht sieht. Sein Vater betreibt in Oberstdorf eine Zimmerei. „Mit viel Holz, da fühle ich mich wohl“, schwärmte der 26-Jährige, „das passt für mich perfekt.“