Frankfurt – „Breiti“, der aussieht wie der Buchhalter der Toten Hosen, aber ihr Gitarrist ist, griff auf der Bühne des Frankfurter Palmenhauses auch noch zum Mikrofon. Damit nicht nur immer Campino, der Frontmann, redet, und weil er was loswerden wollte: „Ich bin ja auch einer, der am DFB aus der Entfernung viel zu nörgeln hat“, sagte der unheimlich schlaksige Breiti, „aber für das hier vielen Dank. Und es ist wichtig, dass der DFB sein politisches Gewicht einsetzt.“
Dem Deutschen Fußball-Bund ist in den vergangenen Jahren wenig geglückt in Sachen Außendarstellung – doch in dieser Sache kommt er gut rüber: Seit 15 Jahren verleiht er den Julius Hirsch Preis. Hirsch, Karlsruher, war einer der ersten deutschen Fußballstars, ein deutscher Patriot und Jude, das war kein Widerspruch. Doch 1943 verfrachteten die Nazis ihn nach Auschwitz, wo er ermordet wurde. Die letzte Postkarte, die er auf der Deportation an die Familie schrieb, kann man im Deutschen Fußballmuseum besichtigen. An Hirsch wird mit diesem Preis erinnert, den vor einigen Jahren auch die Münchner Ultra-Gruppierung „Schickeria“ gewann für ihre Arbeit, beim FC Bayern die Geschichte des jüdischen Präsidenten Kurt Landauer zu ergründen und die Erinnerung an ihn zu beleben und zu verankern.
Der Julius Hirsch Preis soll zudem gesellschaftlich wirken. Deswegen hat der DFB auch einen Ehrenpreis eingeführt, den er an prominente Figuren vergibt. Thomas Hitzlsperger ist einer der Preisträger, Herbert Grönemeyer und nun die Toten Hosen. Die Herren aus Düsseldorf sehen sich immer noch als Punkband – und so entsteht ein herrlicher Kontrast. Hier der DFB, eher konservativ als fortschrittlich, dort die schrillen, wilden Stars aus der Musikszene.
Die Toten Hosen, gegründet 1982, sind nahe am Fußball. Von ihrer ersten großen Konzerttournee ging eine Mark pro Ticket an Fortuna Düsseldorf, um den Spieler Anthony Baffoe kaufen zu können. 150 000 D-Mark kamen zusammen, „damit gehörte den Hosen Baffoes rechtes Bein“, wie Laudator Thees Uhlmann witzelte. Fortuna haben sie später mal gerettet, außerdem ist Campino England- und speziell Liverpool-Fan und Kumpel von Jürgen Klopp. Und, was wichtig für den Preis war: Die Band positionierte sich immer schon gegen Rechts. Dafür wurde sie ausgezeichnet. „Wir empfinden das nicht als Leistung, denn wir sind so erzogen worden, dass wir uns nicht raushalten sollen“, sagt Campino.
Eigentlich ist es frustrierend: Da veranstaltet der DFB seit eineinhalb Jahrzehnten diese stimmungsvollen Ehrungsabende, „dennoch passieren Sachen, die vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären“, so hat es Präsident Fritz Keller formuliert. 2019 war ein schlechtes Jahr: Rassistische Tiraden von Länderspielbesuchern in Wolfsburg, die Chemnitzer Fanszene feiert einen Neonazi, und als vor dem Spiel Deutschland – Argentinien der Opfer des rechten Terrors von Halle gedacht wird, plärrt einer von den Rängen ins Stadion hinein. Fritz Keller fordert mehr denn je die Fußballfamilie auf: „Aufstehen, nicht den Mund halten!“
Und es gibt immer wieder wunderbare Projekte, die sich über den Fußball für eine bessere Welt engagieren. 99 Bewerbungen wurden für den Julius Hirsch Preis eingereicht. Platz drei ging an das „Bündnis Tradition lebt von Erinnerung“, das die Geschichte des VfL Osnabrück aufarbeitet, Platz zwei an die Stuttgarter Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule, die ein Theaterstück über einen jüdischen Kickers-Schiedsrichter schrieb und aufführte und seine Enkelin in Neuseeland ausfindig machte. Den ersten Preis verdiente sich der Mainzer Club FC Ente Bagdad. „Ein Wahnsinnsverein, der seine Spuren durch ein halbes Jahrhundert zieht“, sagte Laudator Eberhard Schulz von Maccabi München. Die „Entenfamilie“ übernimmt Fußballpatenschaften für Flüchtlinge, sie reist in die Herkunftsländer ihrer Mitglieder, und nach dem Angriff auf einen Kippaträger in Berlin bestritten die Mainzer ihr nächstes Freundschaftsspiel demonstrativ mit Kippas. Auf ihren Schals steht „You’ll never watschel alone“, am Ende des Abends hatte auch Campino einen Schal umhängen. Er versprach, ihn Jürgen Klopp mitzubringen.
Der Star des Abends war aber gar nicht mal Campino, sondern der 88-jährige Holocaust-Zeitzeuge und -Überlebende Zvi Cohen, der aus seinem Leben erzählte, Mundharmonika spielte und als Botschaft ein Nie wieder“ hinterließ. „Sie sind der Coolste hier“, jubilierte Thees Uhlmann.
Campino sagte, das sei „einer der schönsten Abende der letzten Zeit gewesen. Er bilanzierte: „Die Gesellschaft gibt die Integration in der Praxis an die Sportvereine weiter. Der DFB hat da etwas Gutes ins Leben gerufen.“