Balingen – „Ich bin für jeden was anderes“, sagt Holger Fischer, wenn man ihn nach seinem Beruf fragt, „Coach, Begleiter, Berater, Mentor. Das sind wahrscheinlich die gängigsten Begriffe für mich. Aber egal wie man mich nennt: Am Ende ist das Ergebnis entscheidend.“
Nur eines möchte er nicht mehr genannt werden: Wunderheiler. Mit diesem Stempel erreicht der Schwabe vor knapp zehn Jahren Bekanntheit. Vor allem verletzte Bundesligaprofis reisen in jenen Tagen zu ihm und checken bei ihm zu Hause ein. Fischer aktiviert in zweitägigen Seminaren Selbstheilungskräfte seiner Klienten. So mancher Nationalspieler verlässt nach einem Muskelfaserriss 24 Stunden später wieder einsatzbereit seine 20er-Jahre Villa am Rand der Schwäbischen Alb in Balingen. Oder er spielt 18 Tage nach einem angebrochenen Wadenbein – sagt Fischer – wieder Profi-Fußball.
Seine ungewöhnliche Karriere beginnt mit einem Schock: Im Alter von 29 Jahren fallen dem 1,93-Meter-Hünen alle Körperhaare aus. „Kein schönes Erlebnis für einen Mann Ende 20“, erinnert sich der 57-Jährige. Der Balinger leidet an der sogenannten „Alopecia universalis“. Genau wie der ehemalige italienische Star-Schiedsrichter Pierluigi Collina: „Die Ärzte konnten das Phänomen zwar benennen, es aber nicht erklären und mir schon gar nicht helfen. Da wurde mir klar, dass es eine Wahrheit abseits wissenschaftlicher Theorien geben muss“, so Fischer.
Mit Mitte 30 merkt er, wie eng der Zusammenhang zwischen Körper und Psyche ist – und wie er anderen mit seinen Fähigkeiten helfen kann. Schnell spricht sich seine Kunst herum und Balingen wird zur Pilgerstätte für verletzte Top-Athleten.
Doch seine Erfolge wecken den Argwohn einiger Vereins– und Verbandsärzte. „Einer meiner Bundesligaspieler mit einem Achillessehnenriss hätte nach drei Monaten wieder spielen können. Doch sein Vereinsarzt wollte ihn nicht gesundschreiben. Bei einer erneuten Verletzung hätte dem Arzt großer Ärger mit der Berufsgenossenschaft gedroht. Das war es mir nicht wert“, erklärt Fischer seine Abkehr von den körperlichen Verletzungen und seinen neuen Fokus auf die Sportlerseele.
Seitdem ist der „Wunderheiler Holger Fischer“ Geschichte. Geblieben ist seine elitäre Kundschaft von Weltmeistern bis Olympiasiegern, die bei ihm zu Hause für maximal 48 Stunden wohnen. „Viel läuft heute aber auch über das Smartphone mit WhatsApp oder Facetime. Brennt einem Sportler etwas auf der Seele, ruft er mich an“, beschreibt Fischer seinen Arbeitsalltag. Für den Erfolg geht er nach einem konkreten Plan vor: „Zuerst führe ich mit ihnen ein Gespräch und sie sagen mir, was ihr Thema ist. Ich spreche nie von Problemen, sondern von Themen. Dann erarbeiten wir zusammen Lösungen“, so Fischer.
Zu seinen berühmtesten Klienten gehörte auch die dreifache Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber. „Angie ist ein hochemotionaler Typ. Rückschläge können sie aus der Bahn werfen. Nach einer dramatischen Niederlage mit eigenen Matchbällen in Eastbourne wollte sie aufhören und hat mich völlig aufgelöst angerufen. Wir haben über drei Stunden telefoniert. Wenig später stand sie im Halbfinale von Wimbledon“, erklärt Fischer seine Beziehung zu dem Tennis-Star. Seine persönliche Historie als Tennistrainer beim Baden-Württembergischen Verband spielt für ihn keine Rolle: „Jemand wie Angie brauchte niemand, der ihr die Vorhand erklärt, sondern emotionalen Austausch. Unsere Zusammenarbeit hat dazu beigetragen, dass sie die Nummer 1 der Welt wurde“, glaubt Fischer, der inzwischen auch zahlreiche Wirtschaftsgrößen betreut und Seminare für Unternehmen anbietet.
Es gab Zeiten, da arbeitete er ausschließlich mit Fußball-Profis, hatte Klienten in fast jedem Club der ersten Liga. Heute sucht er sich Fußballer nur noch gezielt aus. Die brutale Maschinerie um das runde Leder hat Fischer wählerisch werden lassen: „Der deutsche Profifußball bringt teilweise schon dunkle Gestalten hervor. Ich habe zum Beispiel mal in Verhandlungen mit einem Spieler gesessen, da holt sein Vater eine Pistole raus. Legt sie seelenruhig auf den Tisch und sagt: Hier entscheide ich. Solche Personen brauche ich nicht in meinem Umfeld.“
Oft sind es Agenturen, die ihn seit Jahren kennen und seiner Arbeit vertrauen. Dazu gehört „arena11“ aus München, die Degen-Brüder aus der Schweiz oder Klaus Berge. Die Beziehung zu Beratern ist allerdings nicht immer einfach: „Viele haben Angst, dass ich zu viel Einfluss auf die Spieler bekomme und ihre Jungs nicht steuerbar bleiben. Es gibt Berater, die untersagen ihren Spielern, mich zu kontaktieren.“
Psychische Unterstützung bleibt auch zehn Jahre nach dem Freitod von Robert Enke meist ein Tabuthema. Wenige Stars stehen zu ihrer Arbeit mit Fischer. Ausnahmen aus der Bundesliga sind Daniel Caligiuri von Schalke 04 und dessen Bruder Marco von Greuther Fürth, der Mainzer Adam Szalai sowie Ex-Nationaltorwart René Adler. „Einige Vereine haben zwar einen Psychologen angestellt. Meine Erfahrung ist aber: In die Tiefe geht es in der Konstellation kaum. Wie kann ich als Spieler auch vollkommen offen sein, wenn ich mit einem Angestellten meines Arbeitgebers spreche?“, zweifelt Fischer an der Effektivität von interner Betreuung in den Clubs.
Auch Athleten aus anderen Sportarten bauen auf Fischer – wie der ehemalige Rodelweltmeister David Möller oder Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl. Durch den Beruf ist der 57-Jährige noch zu einem neuen Hobby gekommen: Kampfsport. Er betreut den deutsch-polnischen Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Peter Sobotta und hat Gefallen am Training und dem Kampf Mann gegen Mann gefunden. „Seitdem mache ich auch selber regelmäßig Kampfsport. Die Käfigkämpfer sind privat die feinsten Menschen, die ich kenne.“
Und wenn sich jemand in der deutschen Sportszene auskennt, ist es Holger Fischer aus Balingen. Ein Schattenmann unserer größten Sportstars, der die Seelen der Athleten berührt, heute aber nur noch für mentale Wunder zuständig ist.