Hamburg – Zehn Minuten trennen die Geburten eines der bekanntesten Zwillingspärchen der Fußballgeschichte. Frank de Boer, der jüngere, sowie Ronald de Boer (beide 49), der ältere, haben aber beide Topkarrieren hingelegt, die im Champions-League-Triumph 1995 mit Ajax ihren Höhepunkt fanden. Beide kickten auch erfolgreich für Barça und die Elftal, weshalb unsere Zeitung mit Ronald über die Qualifikations-Kracher heute gegen Deutschland, über Frenkie de Jong und natürlich Johan Cruyff gesprochen hat. Das Interview mit dem 67-fachen Nationalspieler.
Herr de Boer, was macht das Leben?
Es dreht sich weiterhin um den Fußball. Ich bin als TV-Experte für die holländische Liga und die Europa League tätig sowie bei Ajax als Botschafter und als Individualtrainer der U 19 und U 17 angestellt. Zweimal die Woche mit diesen Kickern zusammenarbeiten zu können, erfüllt mich mit Stolz.
Sie haben also auch Anteil an der neuen Talentflut in Holland.
Sämtliche Jugendtrainer hier leisten hervorragende Arbeit. Speziell Ajax steht seit langer Zeit für eine eigene Philosophie auf dem Platz, ist darum bemüht, dass ehemalige Spieler mit Ajax-DNA wie ich den Nachwuchskickern unsere Werte vermitteln. Kommt dann noch die nötige Portion Talent dazu, geschieht das, was aktuell bei Ajax und der holländischen Nationalelf zu beobachten ist.
Wo liegen die genauen Gründe für diese positive Entwicklung?
Natürlich sind Philosophie und Trainingskonzepte von ungeheurer Bedeutung, über allem steht aber weiterhin das Talent. Die aktuelle Spielergeneration in den Niederlanden ist schlichtweg einzigartig – und zwar auf allen Positionen. De Ligt, van de Beek, de Jong – sie sind das Gesicht einer neuen Ära in Holland. So wie damals auch.
Die vergangenen Jahre waren dagegen nicht so erfolgreich.
Verpasst man eine EM oder eine WM, wird schnell von Krise gesprochen. Ich wusste aber schon vor ein paar Jahren, dass man sich keine Sorgen zu machen brauchte. Ich sah, welche Spieler in den U-Nationalmannschaften heranreiften und dass die Zukunft abgesichert war. Anfang der 80er hatten wir auch eine schwierige Phase, Ende des Jahrzehnts kickten plötzlich Gullit, Rijkaard und van Basten in unserer Nationalmannschaft. Gelegentlich braucht man eben nur etwas Geduld. Und soll ich Ihnen etwas sagen?
Bitte!
Der holländische Verband ist nicht nur top organisiert, sondern vermittelt aktuell große Aufbruchstimmung. Von den U-Nationalteams bis hin zum A-Team merkt man, dass etwas Großes entsteht. Hinzu kommt, dass der Nachwuchs auch gepflegt wird. Gute Trainingsbedingungen, gute Trainer – und endlich wieder eine sehr talentierte Generation an Spielern, die 2022 in Katar auf dem Zenit ihres Schaffens sein wird.
Frenkie de Jong meinte neulich, dass man bei Ajax und Barça schön spielen müsse. Stimmen Sie zu?
Natürlich. Ajax und Barça besitzen dieselbe DNA und haben sie im Wesentlichen Johan Cruyff zu verdanken. In den Folgejahren haben Trainer wie Guardiola, Rijkaard oder van Gaal diese Philosophie weiterentwickelt, den Grundstein legte jedoch Cruyff. Frenkie selbst braucht noch etwas Zeit. Seine Mitspieler in Barcelona müssen verstehen, dass er ein anderer Spielertyp ist als Busquets zum Beispiel. Beide Parteien müssen sich aufeinander einlassen, ein derartiges Talent habe ich aber schon lange nicht mehr gesehen. Ich bin mir sicher, dass er sich durchsetzen wird. Auch hier braucht man etwas Geduld.
Zur Wahl des Weltfußballers steht neben Messi und Ronaldo aber van Dijk.
Mit dem Champions-League-Triumph hat er ja auch ein großartiges Jahr in Liverpool hinter sich. Alles in allem ist es aber ein schönes Statement, dass neben Messi und Ronaldo auch noch andere Spieler auf dem Platz stehen. Ich halte Messi nach wie vor für die Nummer eins – langsam, aber sicher wäre es jedoch schön, wenn mal wieder ein anderes Gesicht mit dem Ballon d’Or posiert.
Jetzt geht es für alle gegen Deutschland.
Beim letzten Mal hatten wir etwas Pech. Dass wir Deutschland schlagen können, hat diese Mannschaft unter Beweis gestellt. Mit jedem Spiel, das sie auf dem Platz steht, wird sie noch besser und eingespielter. Daher mache ich mir keine Sorgen mit Blick auf Freitag.
Auch die deutsche Nationalelf scheint dem Jugendwahn verfallen zu sein.
Nach der WM war das auch zu erwarten. Bei Spielern wie Brandt, Havertz oder Sané sieht man aber, dass die Talente auch in Deutschland keine Mangelware sind. Ich habe die Spiele gegen unsere Nationalmannschaft gesehen, Löws Kicker haben großartig gespielt. Um die Zukunft von Deutschland mache ich mir aber ohnehin keine Gedanken.
Interview: José Carlos Menzel López