New York – Die Leute auf den Rängen trauten ihren Augen nicht, denn so was sieht man nicht alle Tage. Immer wieder stürmte Taylor Townsend nach vorn: nach ersten Aufschlägen, nach zweiten Aufschlägen, ganz egal. Den Freunden des ebenso konsequenten wie attraktiven Flugballspiels ging das Herz auf an diesem Nachmittag, an dem die 23 Jahre alte Amerikanerin eine Kunst präsentierte, die es fast nicht mehr gibt. Im modernen Tennis ähneln sich ja viele Spielsysteme, aber dies war, das spürten alle, in der Tat was Besonderes. Mit Angriffstennis der spektakulärsten Art besiegte Miss Townsend aus Atlanta, Georgia, die Nummer 116 der Weltrangliste, Wimbledonsiegerin Simona Halep.
Im Gegensatz zur Rumänin trug Taylor Townsend schon immer ein paar Pfund mehr mit sich herum, auch als sie noch ein Teenager war. Ein halbes Jahr, nachdem sie mit 15 den Juniorentitel bei den Australian Open gewonnen hatte, schon damals mit Serve und Volley, stellte der amerikanische Tennisverband USTA ihre Förderung mit der Begründung ein, sie sei nicht fit genug. Die Botschaft war eindeutig. Mit diesen Formen, hieß das im Klartext, passt du nicht ins Konzept.
Dabei sollte man sich nicht täuschen lassen; Townsend ist trotz ihrer Pfunde fix auf den Beinen – sonst hätte sie ja keine Chance, so schnell so dicht am Netz zu sein –-, sie bewegt sich mit einer gewissen Geschmeidigkeit. Aber beeindruckend ist vor allem die fast unglaubliche Konsequenz, mit der sie nach vorn stürmt. 105 Mal in drei Sätzen tauchte sie im Spiel gegen Halep am Netz auf, 63 Mal gewann sie dabei den Punkt, und das sind Werte, die es nicht nur im Frauentennis heutzutage fast nicht mehr gibt. Zum Vergleich: Als Mischa Zverev 2017 bei den Australian Open gegen Andy Murray gewann, stürmte er 118 Mal nach vorn – in vier Sätzen, versteht sich. John McEnroe erklärte Zverev danach zu seinem neuen Lieblingsspieler, aber auch Taylor Townsend fand prominente Bewunderer. Als sie vor fünf Jahren bei den French Open in Paris, ihrem ersten Grand-Slam-Turnier, die dritte Runde erreichte, meldete sich der bekannte Frauenversteher Andy Murray zu Wort und schwärmte vom Auftritt der damals 18 Jahre alten Amerikanerin.
Sie mag nicht über alle Gründe reden, die eine Fortsetzung des vielversprechenden Beginns verzögerten. Es sei ein langer Weg gewesen, erzählte sie nach dem Sieg gegen Halep im besten Spiel ihrer Karriere, und sie habe am Rande dieses Weges viel Hass zu spüren bekommen. „Ich hab wirklich lange zu hören bekommen, dass ich es niemals schaffen werde. Es hat gedauert, aber ich habe es irgendwann geschafft, von dieser Kritik zu profitieren, weil ich den Leuten einfach zeigen wollte, wie falsch sie liegen. Ein paar Jahre lang kam ich mir irgendwie verloren vor, wie mitten in einem Meer vieler Dinge. Aber jetzt ist es schön, dass ich oben treibe, dass ich schwimmen kann. Ich weiß, wer ich bin.“
Und sie gönnt sich nicht nur auf dem Tennisplatz verrückte Dinge. Nachdem sie im März beim Turnier in Miami zügig in zwei Sätzen gegen Simona Halep verloren hatte, ging sie im Umkleideraum auf die Rumänin zu und fragte, was sie besser machen könne, um erfolgreich zu sein. Die Rumänin sagt, sie sei zuerst ziemlich überrascht gewesen von dieser Aktion, irgendwie habe ihr die Sache aber gefallen, und so habe sie ein paar Sachen erzählt. Taylor Townsend kann sich nicht mehr erinnern, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen war, und rückblickend komme es auch gar nicht mehr darauf an, welche Tipps sie erhalten habe. „Wichtig ist vor allem, dass ich sie gefragt habe, weil ich besser werden will.“
Vor ein paar Wochen in Wimbledon hätte es fast schon zu einem besonderen Sieg gereicht, doch sie verlor nach einem Matchball gegen die Holländerin Kiki Bertens. Diesem vergebenen Matchball hing sie lange nach, doch nun spielt er keine Rolle mehr, weil es neue Bilder für das Gedankenkino gibt. Simona Halep sagte nach dem Spiel, falls es die Amerikanerin schaffe, mit diesem Rhythmus zu spielen und weiter konsequent ans Netz zu stürmen, dann könne das wirklich eine große Sache werden. Für Taylor Townsend war dieser Nachmittag in New York, an dem sie die Siegerin der French Open 2018 und der All England Championships 2019 schlug, wie sie es selbst ausdrückte, „monumental“.