„Türkgücü kann zum Konkurrenten werden“

von Redaktion

1860-Coach Bierofka rechnet mittelfristig mit einem neuen Gegner – Hoeneß setzt auf Talentförderung

Herr Hoeneß, gibt es beim FC Bayern eine interne Vorgabe, dass man die Derbys gegen 1860 nicht zu verlieren hat?

Hoeneß: Von so einer Vorgabe weiß ich nichts. Ich bin mir aber sicher, dass es sehr gerne gesehen wird, wenn die Derbys gewonnen werden.

Und Sie, Herr Bierofka, haben Sie noch eine Rechnung aus der Regionalliga-Saison offen?

Bierofka: Nee, so was gibt’s bei mir nicht. Das ist schon so lange her . . . Wir haben zwar beide Derbys verloren, sind aber aufgestiegen – tauschen hätte ich da nicht wollen. Abgesehen davon hab ich als U 21-Trainer auch ein paar Derby gewonnen. Wenn man gewinnt, klopfen sie dir dann eine Woche lang auf die Schulter. Wenn du verlierst, machst du besser einen Bogen um den Bäcker. Das ist ganz normal. Auch in meinem Umfeld gibt es den einen oder anderen Bayern-Fan – dann kriegst du eben ein paar Sprüche reingedrückt, aber das Leben geht danach trotzdem weiter.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass in einem Jahr vier Münchner Drittliga-Trainer am Tisch sitzen. Verfolgen Sie, was bei Türkgücü passiert?

Bierofka: Gar nicht. Wenn sie es gut machen, haben sie es verdient hochzukommen. Wenn man allein sieht, wen die in der Vorbereitung alles weggeschossen haben . . . Man hört auch, dass im Hintergrund viel investiert wird und auch schon für die 3. Liga Sponsoren da wären. Ich spreche bewusst im Konjunktiv, weil ich es nicht genau weiß. Es kann sein, dass sie relativ schnell auch zu einem Konkurrenten werden. Aber warum soll ich mich mit Türkgücü beschäftigen? Ich hab genug selber zu tun – und der Claus und der Basti wahrscheinlich auch.

Schromm: Ich sehe es ähnlich wie der Biero. Noch sind sie eine Liga unter uns. Es kann aber sein, dass wir uns nächstes Jahr damit beschäftigen sollen, müssen, dürfen. Spannend dürfte schon die Frage werden, wer dann wo spielt. Ob die dann alle ins 60er-Stadion reinpassen . . .

Bierofka: Dann müssten wir nicht mehr so weit fahren (lacht). Und für den Reiner Maurer wäre am Tisch auch noch Platz. Nur terminlich dürfte es schwierig werden.

Es soll ja Leute geben, die die 3. Liga nicht so intensiv verfolgen. Können Sie denen Ihren Fußball in zwei, drei Sätzen erklären?

Hoeneß: Wir wollen auch in der 3. Liga Fußball spielen und uns nicht von der körperlichen Gangart abschrecken lassen. Natürlich ist alles auch immer abhängig vom Gegner. Trotzdem ist unser Ziel, Situationen fußballerisch zu lösen und gegen den Ball mutig und forsch aufzutreten.

Schromm: Wir wollen auch die Kugel haben – möglichst lange und möglichst oft (lacht). Das will aber jeder irgendwie. Schön wäre, wenn wir unser Offensivspiel, das ganz ordentlich ist, die ganze Saison hinweg durchziehen. Defensiv wollen wir ein bisschen variabler sein von der Grundordnung her. Schwerpunkt ist und bleibt aber der Ballbesitz. Und ich glaube, die neue Abstoßregel könnte höchst spannend werden, vielleicht den Fußball sogar verändern.

Bierofka: Was den Ballbesitz angeht, waren wir ja beide letztes Jahr vorne dabei – Haching laut Statistik Vierter, glaube ich, wir Fünfter. Ich denke, wir haben eh schon versucht mehr Fußball zu spielen als andere. Ich möchte aber unseren Fußball nicht an einer einzigen Komponente aufhängen, sondern sehe ihn als ganzheitlichen Komplex. Wir sind in der 3. Liga, da gibt es immer was zu werkeln – ob mit Ball oder ohne Ball. Du kannst dich in jeder Facette des Spiels verbessern. Auch beim Thema Gegenpressing können wir sicher zulegen.

Ist die Liga aus Ihrer Sicht noch stärker besetzt als letztes Jahr?

Hoeneß: Das müssen meine beiden Kollegen beantworten.

Schromm: Gut, dann fange ich mal an. Also, ich denke, dass die Liga noch mal einen Sprung nach vorne gemacht hat – schon was die Attraktivität der Absteiger und Aufsteiger angeht. Das sind sieben neue, wirklich spannende Mannschaften. Mannheim – puh! Magdeburg – ojojojo! Das wird auch wieder lustig. Nee, wirklich: Da sind einige absolute Highlights dabei. Es wird heiß!

Bierofka: Ich sehe es genauso. Allein durch die Absteiger ist Qualität dazugekommen. Letztens bin ich gefragt worden, wen ich als Aufsteiger tippe – was willst du da antworten? Da kannst du zehn Mannschaften nennen…

Schromm: … und wenn du einen triffst, bist du eh super. Bierofka: Da kannst du genauso gut würfeln. Es sind sooo viele Mannschaften, die sich auf Augenhöhe bewegen. Man hat ja schon letzte Saison gesehen, wie eng die ganzen Spiele sind. Jede kleinste Kleinigkeit kann Spiele auf dem Niveau entscheiden. Es bricht auch keiner finanziell so aus dem Rahmen, dass man sagen würde: Okay, die haben jetzt eine Überüberübermannschaft, die man nicht mehr schlagen kann. Gibt’s in der Liga nicht. Wie Jena letztes Jahr: Die waren schon weg, praktisch tot – dann gewinnen sie sechs der letzten sieben Spiele und arbeiten sich wieder unten raus. Du kannst dir in dieser Liga nie sicher sein, kannst nie abschalten. Erst waren wir Zwölfter, plötzlich dann Fünfter – und am Ende wären wir beinahe noch abgestiegen. In dieser Liga ist wirklich alles möglich.

Wie wertvoll ist es, Erfahrung in dieser Liga gesammelt zu haben, 1860 ein Jahr, Haching seit dem Wiederaufstieg zwei?

Bierofka: Es gibt ja eine Statistik, dass wir in der letzten Saison nach Jena die wenigsten Spieler mit Profi-Erfahrung hatten. Und jeder Einsatz in der 3. Liga tut den Spielern gut. Allein vom Wissen her, wie der Fußball dort abläuft. Ich denke gerade an Jungs wie Herbert Paul, Efkan Bekiroglu oder Marius Willsch. Den Reifeprozess durch dieses eine Jahr merkt man einfach – da sind wir jetzt einen Schritt weiter.

Schromm: Wie der Biero sagt: Eine Saison hat 38 Spiele – und je mehr man davon in den Beinen hat, desto besser. Ein paar Zugänge kommen natürlich auch dazu und bringen ihr Potenzial ein. Wir freuen uns schon, denn wir dürfen gleich mal am Betze anfangen . . .

Bierofka: (lacht gequält) Ist doch schön! Da waren wir letztes Jahr auch gleich als Aufsteiger (Endstand 0:1).

Schromm: Es ist, wie es ist. Selten kommt ein Gegner mal zum richtigen Zeitpunkt.

Und die Bayern lassen sich als Aufsteiger einfach mal überraschen, oder?

Hoeneß: Natürlich bereiten wir uns auf alle Gegner in akribisch vor. Aber es stimmt schon, die wenigsten von uns haben Erfahrung in der 3. Liga gesammelt. Dafür können wir vielleicht unbekümmert an die Sache rangehen. Das ist jetzt zwar ne Floskel, aber in der 3. Liga wird auch nur Fußball gespielt. Wir müssen uns drauf freuen, es positiv angehen – auch wenn es mit Sicherheit eine fordernde Liga ist.

Zum Abschluss bitten wir die Herren noch, den folgenden Satz zu ergänzen: „In fünf Jahren bin ich . . .“

Hoeneß: Ich hab keinen Masterplan. Hatte ich nie und bin auch ganz gut gefahren damit. In fünf Jahren, was bin ich da wohl . . .? (überlegt)

Schromm: In fünf Jahren hab ich mein Projekt Unterhaching hoffentlich beendet. Ich gebe genauso wie der Präsident bis dahin keine Ruhe.

Das heißt, Sie sind bis dahin aufgestiegen und in der 2. Liga etabliert?

Schromm: Kann man doch mal so stehen lassen, finde ich.

Und Sie, Herr Bierofka?

Bierofka: Bei uns weiß ich ja nicht mal, was in fünf Wochen ist – wie soll ich dann sagen, was in fünf Jahren ist (alle lachen schallend). Ich hoff’, ich leb noch in fünf Jahren.

Interview: Uli Kellner und Ludwig Krammer

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