München – „Joachim Löw ist freigestellt.“ Was für ein Satz! Oliver Bierhoff, beim DFB der Direktor Nationalmannschaften, hat das tatsächlich so gesagt. Doch man darf diese Aussage nicht aus dem Kontext reißen. Bierhoff hat nämlich auch gesagt: „Martina Voss-Tecklenburg ist freigestellt.“ Es ging vor ein paar Wochen darum, dass die Bundestrainer einmal nicht in den Betrieb der Akademie eingebunden sein werden, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nun endlich baulich verwirklichen kann, nachdem die Stadt Frankfurt ihm das Gelände auf der ehemaligen Galopprennbahn übergeben hat.
Es dauert ja ohnehin noch, bis die DFB-Akademie auch ein Gebäude sein wird („Ich bin zuversichtlich, dass wir Mitte 2021 einziehen können“, so Akademieleiter Tobias Haupt), und es ist durchaus vorstellbar, dass Joachim Löw, an den DFB vertraglich bis 31. Dezember 2022 gebunden, den Einzug nicht mehr als Bundestrainer erleben, sondern freigestellt sein wird. Löw-Fürsprecher vernimmt man selten in diesen Tagen, die Art des Bundestrainers, drei seiner Weltmeister von 2014 (Müller, Hummels, Boateng) ohne Perspektive auf Wiederkehr zu verabschieden, hat den Beliebtheitsschwund beschleunigt.
Seit vergangener Woche arbeitet der Bundestrainer auffallend engagiert an der Wiederherstellung seiner Reputation. Erstmals überhaupt verkündete er den Kader für die ersten beiden Länderspiele des Jahres (am Mittwoch in Wolfsburg gegen Serbien und am Sonntag in der Niederlanden, der Start in die Qualifikation für die EM 2020) im Rahmen einer Pressekonferenz (sonst erfolgt das per Mail), und vor der Abreise von Freiburg nach Frankfurt empfing Löw Vertreter von kleineren Regional- und Lokalzeitungen zu Interviewrunden. Er, der sich rar macht und oft über Wochen nicht zu greifen ist. Löw ist auf Rechtfertigungskurs.
Sein Vertrag schützt ihn. 3,8 Millionen Euro jährlich soll er beim DFB verdienen, der Verband hat nicht die Mittel, ihn einfach auszuzahlen. Die Summe läge im zweistelligen Millionenbereich.
Durch den WM-Flop 2018 hat Löw nicht an interner Macht verloren. Der frühere DFB-Pressesprecher und über Vorgänge in der Frankfurter Verbandszentrale immer noch bestens informierte Harald Stenger sagte in einer der WM-Ausgaben der Sport1-Talkshow „Doppelpass“, dass es „Jogi Löw und Oliver Bierhoff egal ist, wer unter ihnen DFB-Präsident ist“.
Reinhard Grindel hatte früh klargestellt, dass er mit Löw in den nächsten WM-Zyklus gehen werde. Er hat keine Alternative vor Augen, zumindest nicht, solange der DFB-affine Dieter Hecking, der Mitglied des Akademie-„Think Tank“ ist und für die Bundesligatrainer als Verbindungsmann in Videobeweisfragen fungiert, nicht von Borussia Mönchengladbach wegwill.
Löw indes hält den DFB-Präsidenten auf Distanz. Das war schon bei der WM in Russland so, als die Stimmungslagen, die im Quartier in Watutinki herrschten, an Grindel vorbeigingen. Hinterher beschwerte er sich, etwa von der Videospielerei und der Abschaltung des Internets gerne gewusst zu haben. Zuletzt wurde er von Löws Ausbootungsaktion der drei Weltmeister überrascht. Der Bundestrainer hatte ihn am Tag, als es geschah, von Oliver Bierhoff kurzfristig informieren lassen. Grindel segnete die Maßnahme in einem hastig geschriebenen Beitrag auf der Plattform Twitter als richtigen Schritt ab, äußerte am Rande des FIFA-Kongresses dann aber seine Verstimmung, Löw konterte mit einem Statement zwischen den Zeilen: Er habe im Vorfeld den Kreis der Mitwisser bewusst klein gehalten. Grindel gehörte nicht dazu, sondern zu einer Gruppe, die Löw wolkig „manche Leute“ nannte.
Wer Grindel kennt und schon miterlebt hat, wie er etwa bei Begegnungen mit Altinternationalen um Beachtung heischt, kann erahnen, wie sehr es Grindel trifft, ausgegrenzt zu werden.
Am Sonntagabend war der DFB-Präsident, frisch aus Miami eingetroffen, im Bayerischen Fernsehen bei „Blickpunkt Sport“ zu Gast; ein Termin, der nicht wehtat. Grindel musste nur pflichtbewusst nostalgisch lächeln, als ein alter Fernsehausschnitt aus seiner ZDF-Reporter-Zeit – „Kochen mit Hannelore Kohl“ – eingespielt wurde. Ansonsten konnte er seine vorgefertigten Statements abrufen. Inklusive eines kleinen Schuldeingeständnisses, das macht sich ja immer gut: „Wenn ich gewusst hätte, zu welchen Diskussionen meine Bemerkung in Miami führt, hätte ich sie weggelassen.“
Mit Löw stehe er in bestem Einvernehmen. „Wir haben keine unterkühlte Atmosphäre, es ist alles zu hundert Prozent in Ordnung.“ Man telefoniere viel und gehe ab und zu essen.
In Wolfsburg wird es dazu aber eher nicht kommen. Jogi Löw kann sich auf Zahnschmerzen berufen, die einen operativen Eingriff erforderlich machten. Er reiste daher später zum Treffpunkt. Und war den ersten Tag freigestellt.