Löws Personal-Entscheidung

Radikal – und etwas willkürlich

von Redaktion

CHRISTOPHER MELTZER

Im August ist Joachim Löw schon einmal nach München gereist. Der Bundestrainer war damals gekommen, um vor Journalisten das deutsche WM-Debakel zu analysieren. Er sprach von „Arroganz“ und „Selbstgefälligkeit“, das war ehrlich, aber nicht sehr radikal. Gestern ist Löw wieder in München aufgetaucht. Dieses Mal hat er nicht mit Journalisten gesprochen, sondern mit drei Fußballern des FC Bayern. Er hat Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller persönlich mitgeteilt, dass sie ab sofort nicht mehr in der Nationalmannschaft gebraucht werden. Seit 2006 ist Löw Bundestrainer – so eine radikale Entscheidung hat er wohl noch nie getroffen.

Nun kann man diesen Schritt aus einer sportlichen Perspektive gewiss nachvollziehen. Wer in dieser Saison ein Spiel des FC Bayern gesehen hat, der dürfte ziemlich wahrscheinlich auch einen Fehler der Innenverteidiger Boateng oder Hummels entdeckt haben. So gut wie noch 2014, als sie das Zentrum der Weltmeister-Abwehr bildeten, sind sie halt nicht mehr. Boateng fehlen im Zweikampf inzwischen Geschwindigkeit und Wucht, Hummels trifft in der Rückwärtsbewegung zu oft falsche Entscheidungen. Es ist verständlich, dass Löw ein neues Duo aufbauen will, zumal es mit Antonio Rüdiger, Niklas Süle und Jonathan Tah, vielversprechende Kandidaten gibt. Klar, sie werden Fehler machen. Diese muss man ihnen aber zugestehen – wie früher Boateng und Hummels.

Obwohl Löw sich auf diese sportlichen Argumente berufen kann, gibt es vor allem aber zwei Aspekte der Entscheidung, die einfach nicht zusammenpassen. Erstens: Erst im Oktober 2018 hat sein Co-Trainer Marcus Sorg, der gestern ebenfalls in München war, gesagt, dass der DFB-Trainerstab froh sei, dass es in der Nationalelf mit Hummels, Boateng, Müller und Toni Kroos eine Achse gebe. War das eine Lüge? Zweitens: Früher vertraute Löw manchen Nationalspielern auch dann, wenn sie höchsten Ansprüchen nicht mehr genügten. Das war sein Ansatz, das war seine Überzeugung. Man muss nur an Lukas Podolski denken. Auf dem sportlichen Podolski-Level ist Thomas Müller, im Vorjahr bester Zuspieler der Liga, noch lange nicht angekommen. Er hat am Samstag erst gezeigt, dass er die Bayern sogar besser machen kann.

Mit seiner neuen Radikalität hat der Bundestrainer gestern alle überrascht. Vielleicht versucht er gerade, sein Trainerprofil zu schärfen. Bis man das aber herausgefunden hat, wirkt seine Entscheidung nicht nur radikal, sondern auch etwas willkürlich und stillos.

christopher.meltzer@ovb.net

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