Are – Die letzte Ski-WM in Are, 2007, war die erste für Wolfgang Maier als Alpinchef des Deutschen Skiverbandes – das Team blieb medaillenlos, zum bisher letzten Mal bei einer WM. Die Chancen bei den heute beginnenden Titelkämpfen sind wie damals nicht sehr aussichtsreich, aber Maier hofft dennoch auf zweimal Edelmetall.
Es gab in dieser Saison für Ihr Team mehr Rückschläge als Erfolge. Mit welchem Gefühl sind Sie nach Are gekommen?
Die primäre Aufgabe für die aktuelle Saison lautete ja, die Verletzten wieder ins System zu integrieren und zu alter Leistungsstärke zurückzuführen. Dazu kamen dann die erneuten Ausfälle von Leistungsträgern wie Thomas Dreßen, Andreas Sander oder Marina Wallner Also kann man schon sagen, dass es noch einmal schwieriger für unsere Mannschaften geworden ist im Vergleich zum letzten Jahr. Darüber hinaus hat Viktoria Rebensburg nicht die bestechende Form der vergangenen Saison. Sie war damals Führende im Riesenslalom-Weltcup und hatte bis zu den Olympischen Spielen schon einige Siege auf dem Konto. Da ist sie in dieser Saison schon noch ein Stück weg davon.
Gibt es ein Medaillenziel?
Wir haben uns auf zwei Medaillen als Ziel geeinigt. Wir werden versuchen, unser Bestes zu geben. Aber wir wissen, dass wir nicht so stabil aufgestellt sind, um sagen zu können, wir gehen mit der einen oder anderen Medaille vom Großereignis weg.
Bei Großereignissen gibt es immer wieder überraschende Medaillengewinner. Hadern Sie damit, dass dies Außenseitern aus Deutschland zuletzt nicht gelungen ist?
Ich hadere vor allem damit, dass die Medaillenkandidaten die Leistung nicht abrufen können wie beispielsweise Viktoria Rebensburg in Peyongchang, als sie als Vierte heimgefahren ist. Ich erinnere mich daran, als ich noch Frauen-Trainer war: Wie oft waren wir da Top-Favorit im Super-G, und wie oft haben wir den gewonnen? Ein oder zweimal vielleicht. Menschen sind eben keine Maschinen.
Haben Sie eine Erklärung, warum das so oft den Deutschen passiert?
Das passiert auch in anderen Mannschaften. Vielleicht liegt es an unserer Mentalität, vielleicht liegt es auch daran, dass wir uns doch zu sehr von diesen Medaillen-Erwartungen unter Druck setzen lassen. Denn wir nehmen Großereignisse schon immer sehr ernst: Es ist uns nicht egal, wenn wir ohne Medaille nach Hause kommen.
Felix Neureuther ist zuversichtlich, in Are in Bestform zu sein. Sie auch?
Das sehe ich auch so, aber dazu muss er noch einige Dinge in Ordnung bringen. Es bleibt das Thema, dass er mit seiner Materialabstimmung noch nicht hundertprozentig sicher ist und ihm eine gewisse Anzahl an Schneetagen fehlt. Man sieht, dass er es immer noch auf dem gleichen hohen Niveau kann, aber halt nicht so stabil in der Abfolge. Wenn er das in Ordnung bringt, ist er von seinem Potential immer jemand, den man nicht abschreiben darf.
Die Probleme mit der Materialabstimmung haben bei Neureuther ja Tradition. Auch 2017 bekam er sie gerade noch rechtzeitig zur WM in den Griff.
Wir haben diese Ressourcen nicht in dem Maße zur Verfügung wie einige unserer Konkurrenten. Wenn man sieht, wie intensiv Marcel Hirscher und Henrik Kristoffersen betreut werden, dann ist das eine andere Liga. Aber damit hadert keiner, denn Hirscher bringt einfach konstante Weltklasseleistungen, da sagt jede Firma, die ihn unterstützt, wir geben 300 oder 400 Prozent, weil er ein Seriensieger ist. Diese Sieggarantie können wir nicht geben, auch Felix nicht.
Auch in diesem Winter wird über die Sicherheit diskutiert. Laut FIS gibt es pro Rennen zwei Verletzte. Wo muss man ansetzen, um etwas zu ändern?
Meine Meinung ist, dass es nicht reicht, ein Mosaiksteinchen zu verändern, um diese für uns alle existenzielle Problematik zu verändern. Du musst Pistenpräparierung, Material, also Ski, Schuhe, Bindungen und Wettkampfformat verändern, aber das geht nicht mit einem Fingerschnippen. Wir sind aktuell noch zu gefangen im eigenen System und den eigenen Interessen, so dass wir die vielen Verletzten – was ich für erschreckend und äußerst bedenklich halte – gesellschaftlich akzeptieren.
Wie könnte man sich da befreien?
Ich glaube nicht, dass wir dies aus eigener Kraft schaffen, weil wir die Dinge so betrachten, wie wir sie seit Jahrzehnten betrachtet haben. Ich würde mir deshalb einen externen Blick auf die Situation wünschen. Von Menschen, die nichts zwingend mit dem Skisport zu tun haben. Kreative Köpfe, Wissenschaftler oder Experten aus der Wirtschaft könnten hier eine positive Hilfestellung geben. Wir diskutieren zwar, dass wir ganz gerne etwas verändern würden, aber sind getrieben von unterschiedlichen Faktoren und drehen uns dadurch im Kreis.
Muss man befürchten, dass der Sport keine Zukunft hat, weil es wegen der Verletzungsgefahr irgendwann keinen Nachwuchs mehr gibt?
Nachwuchs wird es immer geben. Die Konsequenz könnte sein, dass der Weltcup irgendwann in Russland oder Asien gefahren wird. Es scheint sowieso die Intention zu sein, vieles in den asiatischen Raum zu verlegen aufgrund des riesiges wirtschaftlichen Potentials. Aber die Frage ist, ob es die richtige Konsequenz ist, diesen in der hiesigen Kultur gewachsenen Sport für die Wirtschaftlichkeit zu opfern. Ich sehe das mit sehr gemischten Gefühlen.
Interview: Elisabeth Schlammerl