Leverkusen – Man muss Hasan Salihamidzic zugute halten, dass es sich zumindest Mühe gab. Einmal, in der Mitte des Gesprächs, drehte er schon ab und wollte die Interviewzone verlassen, weil aus seiner Sicht alles erzählt war, da kam aus der Tiefe des Raumes noch eine Frage, und er machte wieder kehrt. Der Sportdirektor des FC Bayern war also durchaus bereit zu reden, auch über einen zentralen und sehr sensiblen Punkt. Er war nur nicht bereit, auch etwas zu sagen.
Am Freitag Nachmittag hatten die Bayern vermeldet, dass Manuel Neuer in Leverkusen fehlen werde, Ursache sei „eine Blessur an der rechten Hand“. Gerüchteweise war vom Daumen die Rede, gebrochen sei nichts, aber das war schon der spekulative Teil der Debatte. Zu diesem trugen die Bayern unfreiwillig bei. Vor dem Spiel sagte Salihamidzic bei Sky, man hoffe, „dass das nicht so lange dauert. Mehr kann ich euch noch nicht sagen.“
Angesichts der komplexen, manchmal mysteriösen Verletzungsgeschichte Neuers mussten bei solchen Sätzen zwangsläufig alle Alarmsirenen angehen. Mit halbherziger Öffentlichkeitsarbeit bereiteten die Bayern, speziell der Sportdirektor, nun den Boden für genau jene Mutmaßungen, die sie am liebsten immer vermeiden möchten. Doch selbst nach dem Abpfiff ließ er die Gelegenheit verstreichen, Klarheit zu schaffen. Beharrlich sprach er von einer „Handverletzung“. Knöchern oder an den Bändern? „Ich weiß es, aber ich sag es nicht.“ Warum nicht? „Weil ich es nicht möchte.“
Wenigstens stampfte er nicht mit dem Fuß auf und zog auch keinen Schmollmund, aber den unguten Eindruck von Trotz und Geheimniskrämerei konnte er dennoch nicht verhindern. Aus einem potenziell undramatischen Trainingszwischenfall schien ein Szenario zu erwachsen, das die Bayern völlig überrumpelte. Niko Kovac hätte die Irritationen ausräumen können, befeuerte sie stattdessen aber noch, als er von einer „Blessur“ sprach, ohne konkreter zu werden, und sei es auch nur bei der Perspektive für das Pokalspiel in Berlin oder den Ligakick gegen Schalke: „Wenn ich sage, es dauert fünf Monate, dann schreien alle. Sage ich, es sind fünf Tage, heißt es, das war ja gar nichts.“ Klüger war man als Zuhörer danach nicht.
Zum Glück war Sven Ulreich nicht in die Kommunikationsstrategie der sportlichen Führung eingebunden. So kam doch noch raus, was passiert war. Neuer sei „wohl hängen geblieben“ und habe sich dabei „einen dicken Finger“ zugezogen, schilderte der Schlussmann. Schmerzhaft, aber nicht so schlimm, dass der Aushilfsjob zwischen den Pfosten zum Dauerzustand werde. Schon im Pokal erwarte er Neuer wieder im Tor. Man darf ihm das wohl glauben. Schließlich kennt Ulreich solche Trainingssituationen und kann beurteilen, wie Torwartfinger in bestimmten Momenten wehtun können. Außerdem pflegt er einen regelmäßigen Austausch mit Neuer, der am Sonntag schon wieder trainierte.
Der Einsatz in Leverkusen dürfte also ein Einzelfall bleiben, was für Ulreich, den großen Rückhalt der Vorsaison, doppelt betrüblich ist. Weder Neuer noch Kovac sind Freunde einer Torwart-Rotation, und das Spiel in der BayArena war kein dankbares für Schlussleute. Fast eine Stunde bekam er keinen Ball auf den Kasten, dann schlug ein Freistoß im Netz ein, der nicht zwingend in die Kategorie Unhaltbar fiel. Leon Bailey, Bayers Schütze, habe die Kugel optimal getroffen, sagte Ulreich zu seiner Entlastung. Er schien aber schon zu ahnen, dass diese Argumentation so wenig überzeugen würde wie der Umstand, dass nach acht Monaten Auszeit die Automatismen fast folgerichtig noch fehlen mussten. Die „Torwart-Experten“ sollten ihr strenges Urteil halt fällen, „den nehme ich gerne auf meine Kappe“, sprach er mit beißender Ironie. Seine Botschaft war völlig klar. Das hatte er den anderen Bayern an diesem Tag voraus. mb