München – Herbert Paul ist der Prototyp des modernen 1860-Profis: jung aus der 4. Liga gekommen (Schweinfurt), mit Bezug zur Region (geboren in Ingolstadt) und dem Willen, an den hoffnungsvollen Start seiner Karriere anzuknüpfen (im Fürther Erstligajahr oben mittrainiert, ein Jahr Bayern II, Einsätze für die deutsche U 18). Paul, 24, verkörpert aber auch noch andere Attribute, die Daniel Bierofka wichtig sind: Er gilt als charakterstark, ehrgeizig, vielseitig verwendbar. Bis zur Winterpause war er Stammspieler rechts hinten, in der Vorbereitung hat der Coach ihn testweise auch mal rechts vorne eingesetzt. Unser Interview mit dem beständigsten Zugang des zurückliegenden Transfersommers.
Als einziger von sechs Regionalligaspielern, die 1860 im Sommer geholt hat, waren Sie von Anfang an gesetzt. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Die Erwartungen, die ich an mich selber habe, sind immer sehr hoch. Trotzdem bin ich glücklich, wie es gelaufen ist. Du kommst in eine Aufstiegsmannschaft, hast einen guten Konkurrenten auf der Position (Eric Weeger/Red.) – da musst du dich erst mal durchsetzen. Ich bin auch froh, dass der Trainer mir das Vertrauen geschenkt hat, nachdem die ersten Spiele nicht so optimal liefen.
1860 ist ja kein Club wie jeder andere, geprägt von treuen Fans, aber auch starker Unruhe. Wie sehr hat sich Ihre Wahrnehmung des TSV geändert, seit Sie mittendrin sind?
Nicht großartig. Ich kannte ja schon Spieler hier, hab auch früher mit Ingolstadt und Fürth gegen 1860 gespielt. Der Zuspruch der Fans ist gigantisch. Es war schon geil, das letztes Jahr als Gegner mitzubekommen, aber jetzt ist es noch ein Stück geiler. Wobei es schon eine Umstellung ist, wenn du 2000 Zuschauer gewöhnt bist und plötzlich immer 15 000 im Rücken hast. Sechzig an sich ist einfach eine Attraktion.
Persönliches Highlight war sicher Ihre kleine Torserie Mitte der Hinrunde.
Klar, das war natürlich schön. Aber auch ein bisschen unglücklich, denn in der Liga haben wir keines der Spiele gewonnen, wenn ich getroffen habe. Weder in Rostock noch gegen Wehen daheim. Deswegen ist es mir lieber, ich treffe nicht und wir gewinnen die Spiele. Es ist ja auch nicht meine Hauptaufgabe, Tore zu schießen.
Das könnte sich ändern. Bierofka hat sie zuletzt rechts vorne ausprobiert.
Ich glaube, das lag vor allem daran, dass so viele Spieler angeschlagen sind. Wobei ich gewisse Anlagen schon mitbringe für diese Position. Ich bin relativ schnell, kann dribbeln. Wenn’s ist, dann spiele ich auch rechts vorne.
Haben Sie denn keine offensive Vergangenheit wie so viele andere spätere Defensivspieler?
Nein, nicht direkt. Bis zur U 17 war ich Innenverteidiger, danach bin ich nach außen gerückt, war auch mal rechts vorne oder Sechser. Eigentlich alles außer Stürmer.
In welchem System fühlen Sie sich wohler: Dreier- oder Viererkette?
Viererkette! Bei der Dreierkette hast du wenig mit dem Spiel zu tun, dafür musst du umso mehr laufen. Wir sind auf jeden Fall sehr vielseitig, was die Systeme angeht.
Was ist noch drin für 1860 in der Restrückrunde?
Wie alle Fußballer will ich natürlich jedes Spiel gewinnen. Ich bleibe auch dabei, dass wir jeden schlagen können, wenn alle alles abrufen. Man darf nicht vergessen, dass wir immer noch ein junges Team sind. Ein guter einstelliger Tabellenplatz wäre schön.
Und mittelfristig? Teilen Sie die Angst mancher Fans, dass der angekündigte Sparkurs auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit gehen könnte?
Nein. Es geht immer weiter – wie, das wird sich zeigen. Angst ist auch nie ein guter Ratgeber. Ich kann nur versuchen, gut zu spielen. Auf den Rest hab ich keinen Einfluss.
Im Februar werden Sie 25. Ihr Ziel für die Zukunft?
Ich möchte natürlich so hoch spielen wie möglich. Dafür bist du Profi, dafür stehst du jeden Morgen auf.
So hoch wie möglich heißt: Bundesliga.
Ich würde auch dazu nicht nein sagen, Gott bewahre! Aber da müsste schon viel zusammenkommen. Mein Karriereweg war jetzt nicht so, dass man sagen würde: Es ist einfach, da noch hinzukommen. Ich schließe aber auch ungern etwas aus. Wenn es eines Tages noch die Bundesliga werden wollte, wäre ich der glücklichste Mensch. Genauso wäre es ein Traum, mit 1860 aufzusteigen.
Sie kennen ja auch die andere Seite des Profigeschäfts. Wie schlimm war die Zeit ohne Vertrag, als Sie von Bayern weg sind?
Sehr schlimm. Du musst zum Arbeitsamt, weißt nicht, ob und wie es weitergeht. Teilweise dachte ich nur: Sch . . . Acht Monate hat es gedauert, bis ich in Schweinfurt wieder Fuß fassen konnte. Umso glücklicher bin ich, dass ich jetzt wieder Profifußball spielen kann – noch dazu bei einem sehr geilen Verein.
Stimmt es, dass Sie seit dieser Zeit meditieren?
Ja, das stimmt. Eine Freundin hatte damals gefragt, ob ich nicht Bock hätte, mit nach Sri Lanka zu kommen, in ein Kloster. Hab ich gesagt: Wieso nicht? Ich hatte in dem Winter eh nichts vor, keiner meiner Freunde hatte Zeit. Also warum nicht mal was Abgefahrenes machen?
Erstaunt dürften auch Ihre Kollegen reagiert haben.
Ich weiß, dass das in der westlichen Welt immer ein großes Thema ist. Dass in der Kabine der eine oder andere Spruch kommt, gehört dazu. Aber es ist im Endeffekt keine große Sache. Du hockst dich hin, schließt die Augen und versuchst dich, auf deine Atmung zu fokussieren. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig am Smartphone hängen. Überall prasselt was auf einen ein. Da tut es gut, einfach mal abzuschalten. Ich hab gemerkt, dass mir das guttut, daher hab ich das für den Alltag übernommen.
Salopp gefragt: Wie muss man sich den Alltag als Teilzeit-Mönch vorstellen?
Naja (lächelt). Du lebst halt in einem Gemäuer, trägt so ’ne Kutte und hast den ganzen Tag Affen und andere Tiere um dich herum. Wenn du nachts mit dem Handy das Licht angemacht hast, hingen überall Geckos an den Wänden. Einmal, als ich morgens raus bin, lag eine 1,50 m lange Schlange vor der Tür. Da war’s dann kurz vorbei mit der inneren Ruhe (lacht).
Können Sie zum Schluss noch aufklären, woher Ihr doch eher ungewöhnlicher Vorname kommt?
Die Frage höre ich nicht zum ersten Mal. Meine Eltern sind Spätaussiedler, sie kommen aus Kasachstan und wollten mir einen typisch deutschen Namen geben. Ich gebe zu, es war nicht immer leicht, sich mit diesem Namen anzufreunden, aber eigentlich hat er eine schöne Bedeutung: „Der leuchtende Krieger“.
Interview: Uli Kellner und Ludwig Krammer