Premier League in Brexit-Angst

Begegnung mit dem realen Leben

von Redaktion

MARC BEYER

Transferticker sind ein dankbarer Lesestoff. Gestern lernte man auf diese Weise einen gewissen Lucas Musculus kennen, der tatsächlich so heißt und von Uerdingen zu Viktoria Köln zurückkehrt. Schon etwas mehr nach großer, weiter Welt klingt die Personalie Charlison Benschop, den es von Ingolstadt zu De Graafschap Doetinchem zieht. Spektakulär ist das aber auch nicht.

Was hingegen in den Transfertickern fast vollständig fehlt, sind neueste Ausläufer des ganz normalen englischen Fußball-Wahnsinns. Hätte nicht jüngst der FC Chelsea 64 Millionen Euro in den Dortmunder Reservisten Christian Pulisic investiert, könnte man meinen, auf der Insel bliebe das Transferfenster fest verriegelt.

Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die Manager der Premier League zur Vernunft gekommen sind. Wahrscheinlicher aber gestalten sich potenzielle Abschlüsse so zäh, weil England ein noch größeres Abenteuer zu werden scheint, als es aktuell schon ist. Während bisher ein Engagement auf der Insel grenzenlosen Reichtum, fabelhafte Stimmung und ein knochenhartes Arbeitspensum inklusive Weihnachtsdienst versprach, weiß jetzt niemand mehr genau, was auf ihn zukommt.

Das hat der Fußball mit dem Rest des Landes gemeinsam. Alle wissen, dass der Brexit einschneidende Veränderungen mit sich bringen wird, aber wie tief der Schnitt wird – und wie schmerzhaft –, darüber herrscht immer noch weitgehende Unklarheit.

Als das Königreich im Sommer 2016 beschloss, sich aus der EU zu verabschieden, stürzte das Pfund dramatisch ab. Das war auch für gut bezahlte Kicker ein konkreter Vorgeschmack, im Vergleich zu den jüngsten Aufwallungen aber noch gar nichts. Mittlerweile dämmert der Branche, dass Beschränkungen des Arbeitsmarktes auch für sie gravierende Folgen haben werden. Talente dürfen womöglich erst mit 18 angeheuert werden, selbst Nationalspieler würden im extremen Fall nicht mehr unbegrenzt Eintritt erhalten zu einer Liga, die die Ansammlung von Stars als ihren Markenkern versteht. Noch.

Zu ihrer Überraschung wird die Fußball-Hochglanzwelt mit Zwängen und Nöten des realen Lebens konfrontiert. Wie sie damit umgehen soll, dafür scheint es keinen Plan zu geben. Geschweige denn einen Plan B, falls Sonderregeln ausbleiben. Der Fußball und der Rest des Landes sind sich in diesen turbulenten Zeiten näher denn je.

marc.beyer@ovb.net

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