Deutschland staunt. Über unerschrockene, wurfgewaltige, kolossale Männer, über Gummimenschen im Tor, über ein Spiel, dessen Drama und Wucht ein Publikum in zweistelliger Millionenhöhe in seinen Bann zieht. Über Handball also. Und über die deutsche Nationalmannschaft, die zur besten Sendezeit deutsche Wohnzimmer mit Ach und Weh und vor allem mit Glückseligkeit erfüllt. Schon vor dem Halbfinale steht fest, dass die Heim-WM selbst große Erwartungen übertreffen wird.
Grundvoraussetzung war natürlich, dass die von Bundestrainer Christian Prokop befehligte Kampfgemeinschaft siegreiche Schlagkraft entwickelte. Dabei waren die meisten Spieler vor dem Turnier nur eingeweihten Fans geläufig. Den famosen Torhüter Wolff und den smarten Torjäger Gensheimer kannte man vielleicht noch. Aber binnen sieben Spielen haben sich auch andere einen Namen gemacht: Wiencek, Wiede, Kohlbacher, Pekeler, Fäth, Weinhold, Drux, Musche, Häfner … eigentlich müsste man alle nennen. Und eben das ist auch das Erfolgsgeheimnis der deutschen Handballer: ihr selbstloses Miteinander, die enorme Breite des Kaders. Coach Prokop hat da ein eisernes Kollektiv zusammengeschmiedet, das auch befähigt ist, immer wieder mit unberechenbaren Spielzügen aufzuwarten.
Die Sympathiewelle, auf der sich das deutsche Handball-Team bewegt, hat wohl auch damit zu tun, dass ihre Akteure so wunderbar normal und bodenständig wirken. Man kann das auch als eindrucksvollen Gegenentwurf zu den Fußball-Millionären sehen, auf die sich ansonsten die hiesige Medienaufmerksamkeit konzentriert.
Zu den WM-Siegern zählt sicher auch die Sportart selbst. Es liegt in der Natur des Handballspiels, dass es sich als ständiges Hin-und-Her mit einer Fülle von Toren präsentiert. Die Mischung aus kraftvollem Körpereinsatz und Akrobatik eignet sich bestens für spektakuläre TV-Bilder. Die besonderen Reize dieser Branche haben die Deutschen übrigens schon einmal entdeckt. 2007 brach bei der Heim-WM eine vergleichbare Begeisterung aus. Beim Finale, das Deutschland gewann, schauten 16 Millionen zu. Überraschenderweise ging dem damaligen Handball-Boom bald die Luft aus, die Sportart verschwand wieder in der medialen Versenkung. Es ist zu hoffen, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt.
Armin.Gibis@ovb.net