Gegen den Widerstand

von Redaktion

Viele wollten Christian Prokop loswerden – jetzt coacht er im WM-Halbfinale

VON CHRISTOPHER MELTZER

Köln/München – Als Jakov Vrankovic den Ball durch Silvio Heinevetters Beine schleuderte, hinein ins Tor, drohte die Stimmung zu kippen. Auf der Spielerbank wischte sich Andreas Wolff mit dem Trikot über das Gesicht, Uwe Gensheimer blickte auf die Hallenuhr (Restspielzeit: 5:45 Minuten), sogar die deutschen Fans in Köln verstummten. In diesem sehr kniffligen Moment am Montagabend, als die Kroaten plötzlich mit einem Tor führten, als die Deutschen ihren Drei-Tore-Vorsprung verspielt hatten, als das Spiel ihnen zu entgleiten drohte, griff Christian Prokop ein. Er meldete die letzte Auszeit an, um die Strategie zu wechseln. An der Seitenlinie erklärte er seinen Spielern, dass sie fortan bitte mit sieben Mann angreifen sollen, fügte noch ein paar Details hinzu. Mit dem neuen System trafen sie dann in den finalen fünf Minuten viermal – 22:21, Halbfinale erreicht.

Am Tag danach versuchte Prokop, der Handball-Bundestrainer, einfach abzuschalten. „Hoffentlich ist die Sauna eingeschaltet“, sagte er. Vermutlich aber hat er es in der Sauna nicht sehr lange ausgehalten. Er dürfte sich flott wieder in sein Hotelzimmer zurückgezogen haben, wo er an neuen Strategien bastelt, auf die es nun ankommt: In Köln, wo die deutschen Handballer heute Abend (20.30 Uhr/ARD) die Hauptrunde gegen Spanien abschließen. Ganz besonders aber in Hamburg, wo sie am Freitag um den Einzug ins WM-Finale spielen.

Es hat viel mit dem Trainer Christian Prokop, 40, zu tun, dass das jetzt kleine deutsche Handballmärchen sogar noch ein großes werden kann. Mit seiner taktischen Kreativität, mit seinem Führungsstil, mit seinen Entscheidungen, die manchmal sehr mutig sind. Vor dem Turnier schon hat er Tobias Reichmann, den Rechtsaußen und besten Torschützen der Europameistermannschaft von 2016, nicht nominiert. Er hat das Kommando Martin Strobel, einem Zweitligaprofi, anvertraut. Und am Mittwoch, gegen Kroatien, hat er in den entscheidenden Minuten der Partie eben mit sieben Spielern angreifen lassen – obwohl in dieser Formation fast jeder Ballverlust mit einem Gegentor bestraft wird, weil man dafür ja den Keeper auswechseln muss. Es sei gerade sehr schön, auf der Sonnenseite zu stehen, hat Prokop gestern gesagt – der Bundestrainer, der seit nun anderthalb Jahren gegen Widerstände ankämpfen muss.

Als der Verband im Juli 2017 gleich 500 000 Euro zahlte, um Prokop von seinem Verein SC Leipzig abkaufen, hielten das viele für keine gute Idee. Und als die Nationalmannschaft dann im Januar 2018 in der EM-Hauptrunde scheiterte, wollten ihn sogar sehr viele wieder loswerden. Selbst die deutschen Sportnachrichtenagenturen, sonst stets nüchtern in ihrer Analyse, verfassten sehr bissige Prokop-Artikel.

Auf die alte Debatte wollte Prokop gestern nicht zurückblicken. Dafür gab ihm Bob Hanning, der DHB-Vizepräsident, schon vorzeitig die Note 1 – und rechtfertigte damit natürlich auch seine Entscheidung, Prokop zu verpflichten. „Ich wusste, dass er das kann“, sagte Hanning. „Überall, wo er war, hat er was aufgebaut und entwickelt.“ Vermutlich meint er, wie der Trainer sein Team zusammengestellt hat, wie sie alle zusammengewachsen sind, wie seine Spieler mitdiskutieren und mitentscheiden dürfen.

In jener Auszeit gegen Kroatien, als Prokop mit dem Strategiewechsel den Sieg einleitete, hat er ganz am Ende einen Satz zu seinen Spielern gesagt, der im Gebrüll fast untergegangen wäre und so geht: „Jungs, ich glaube an euch.“ Es scheint, als glauben diese auch an ihn.

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